Laugenweckle zum Frühstück
zu trauern. Hoffentlich hatte Max nichts Ansteckendes! Die Vogelgrippe oder sowas! Auf jeden Fall musste ich ihn schleunigst aus dem Wasser holen. O Gott, Herr Tellerle würde einen Auftragskiller auf mich ansetzen!
Ich lief in die Küche und fand nach kurzem Suchen einen Schaumlöffel, so ein Ding, das man in der Regel für Spätzle benutzte. Ich fischte Max aus dem Wasser und ließ ihn abtropfen. Max tat nichts, um mir zu beweisen, dass er noch nicht im Fischhimmel war. Wie belebte man einen Fisch wieder? Mit Herzdruckmassage? Wo war das Herz überhaupt? Oder mit Mund-zu-Mund-Beatmung? Die Vorstellung, einen Fisch zu knutschen, war dann doch ein bisschen eklig. Und was sollte ich jetzt mit ihm unternehmen? Ihn aufbewahren, damit Herr Tellerle ihn auf dem Pragfriedhof begraben konnte?
Ich ging ins Klo und holte ein bisschen Klopapier. Darin wickelte ich Max ein. Dann kippte ich den Überlebenden rasch ein bisschen Fischfutter ins Wasser und ging dann zur Tür. Ich lauschte, bevor ich öffnete. Jemand kam die Treppe herauf, mit festem Schritt. Das konnte Leon sein. Ob ich ihm von dem Malheur berichten sollte? Vielleicht hatte er ja eine Idee? Nein. Das war mein Job, und ich würde ja wohl noch alleine mit einem kleinen toten Fisch zurechtkommen!
Ich wartete, bis die Schritte verklungen waren. Dann öffnete ich vorsichtig die Tür und schlich mich in den fünften Stock, den eingewickelten Max in der linken Hand. Mit der rechten Hand schloss ich meine Wohnung auf. In dem Moment ging Leons Wohnungstür auf. »Hallo Nachbar, schönen Abend noch, wir sehen uns morgen!« Ohne abzuwarten sauste ich in meine Wohnung und haute die Tür zu. Leons erstaunt-verletzter Blick war mir nicht entgangen.
Ich überführte Max vom Klopapier in eine Gefriertüte, was nicht so einfach war, weil das Klopapier an ihm klebte und ich ihn deshalb erst abwaschen musste, verschloss die Tüte sorgfältig und legte ihn in den Kühlschrank. Dann wusch ich mir die Hände und setzte mich aufs Sofa, um nachzudenken.
Ich schwamm mutterseelenallein in einem riesigen Meer. Kein Ufer, keine Insel weit und breit, und ich hatte Angst. Da tauchte plötzlich ein Wal auf, nein, kein Wal, ein gigantischer Schleierschwanz, blasslila. Der Schleierschwanz kam bedrohlich näher, ich versuchte zu fliehen, aber ich hatte keine Chance. Der Riesenfisch öffnete sein Maul und verschluckte mich. Ich kullerte in eine riesige Höhle. Dort saß Herr Tellerle an einem Holztisch, auf dem eine Petroleumlampe stand. Er trug zerrissene Hosen und keine Schuhe und weinte.
»Hallo Line«, sagte er. »Du hast Max umgebracht. Zur Strafe musst du bis ans Ende deines Lebens mit mir in seinem Fischbauch bleiben.«
»Nein«, schrie ich, »nein!«
»Doch.« Herr Tellerle nickte traurig. »Tausend Jahre musst du im Fischbauch bleiben.«
Ich erwachte schweißgebadet. Ich schleppte mich vom Sofa ins Schlafzimmer, zog meinen Schlafanzug an, verzichtete auf weiteres Zeremoniell und war sofort wieder eingeschlafen.
6. Kapitel |
Samstag
If our eyes should meet then so be it.
No need to trouble the heart
that is hidden where no one can free it,
only to tear it apart
Ich erwachte davon, dass eine Mischung aus Bohr-, Hämmer-, Saug- und Sägegeräuschen an mein Ohr drang. Samstagmorgen, acht Uhr. Booahh! Die schwäbischen Heimwerker, die seit sieben Uhr ungeduldig am Frühstückstisch hin- und hergerutscht waren, gingen nun glücklich ihren Lieblingsbeschäftigungen nach und ganz Stuttgart-West durfte teilhaben. Ich rollte mich zu einer embryonalen Verweigerungskugel zusammen. Schließlich gab es überhaupt keinen Grund, am Samstagmorgen um acht aufzustehen, zumal wir ja abends ausgehen würden. Also versuchte ich weiterzuschlafen. Dann fiel mir der tote Max ein und mein schrecklicher Traum. Ein Grund mehr, den Schlaf des Vergessens zu suchen.
Es klappte nicht. Zu den Hämmer- und Sauggeräuschen gesellte sich jetzt noch ein vielstimmiges Wusch-wusch von unzähligen robusten Kehrwochenbesen. Ich dachte an all die verzweifelten Eltern mit den tiefen Ringen unter den Augen, die mich glühend beneideten, weil sie gegen ihren Willen um halb sieben von einem oder mehreren unglaublich wachen Kindern geweckt worden waren, die mit Begeisterung ausprobierten, ob Mamis und Papis Bauch als Trampolin taugte. Es war meine moralische Verantwortung, liegen zu bleiben. Wenn ich hartnäckig genug liegen blieb, würde ich vielleicht in ein bis zwei Stunden wieder einschlafen.
Es war eine Erleichterung,
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