Laugenweckle zum Frühstück
stellte die Box auf dem Boden ab, lief nach vorne, setzte den orangefarbenen Sombrero auf und warf mich in die Brust. »La Cucaracha, la Cucaracha, ya no puede caminar. Soy profesora, y Che Guevara, Caipiriiiiinha!«
»Aufhören, aufhören! Das ist ja fürchterlich! Was sollen denn die Nachbarn denken! Geben Sie mir endlich die Tacos und sehen Sie zu, dass Sie verschwinden!« Die Perlenkette hüpfte nicht mehr, sie wogte, das Gesicht hatte von hellrot zu dunkelrot changiert und mir wurde klar, dass die Frau vermutlich nur Brahms und Beethoven hörte und deshalb einen anderen musikalischen Anspruch hatte als Erol und Aynur.
Trotzdem war ich ein bisschen beleidigt. Ich meine, ich hatte mich ja nun wirklich bemüht. Ich öffnete die Wärmebox, drückte ihr die beiden ziemlich abgekühlt wirkenden Tacotüten in die Hand, und murmelte etwas von 12 Euro.
»Hier sind 15 Euro, behalten Sie den Rest und hauen Sie ab! Und zwar schnell!«
Ich floh, so schnell ich konnte, bevor mir die Killesbergtusse die Reifen durchstach. Für eine Perlenketten-Lady war sie ganz schön vulgär. Ich warf mich in den Smart, den ich ja mittlerweile zum Glück aus dem Effeff beherrschte, zündete, legte den Gang ein, gab kräftig Gas und schoss nach hinten. Leider stand da die Tusse, aber sie rettete sich mit einem behänden Hechtsprung zur Seite. Das hätte ich ihr gar nicht zugetraut. Der Holzzaun hatte weniger Glück. Ich mähte ihn mit lautem Krachen nieder und stand mit dem Smart im idyllisch verschneiten Vorgarten des in seiner schlichten Eleganz an den Bauhausstil erinnernden Killesberganwesens. Die Hinterreifen hingen im Teich. Anscheinend hatte ich N und R verwechselt.
Einige Stunden später lag ich auf meinem Sofa und starrte an die Decke. Ich hatte nicht einmal Lust auf Nostalgie-TV. Ich war ja nun einiges gewöhnt, aber der Tag war einfach zu entsetzlich gewesen, und ich war völlig erschöpft. Nachdem ich den Holzzaun zerlegt hatte, hatte die Tusse einen solchen Schreianfall bekommen, dass ich sicher war, sie würde einen Herzinfarkt kriegen. Aus den scheinbar tot daliegenden Häusern strömten von allen Seiten Menschen zusammen, was natürlich auch daran lag, dass die Tusse an maßlosen Übertreibungen nicht sparte, und die Worte »Mordanschlag«, »Vandalismus« und »Gefahr für die Öffentlichkeit« für die Nachbarn natürlich alarmierend klingen mussten.
Die meisten Zaungäste waren bleiche Kinder, die von ebenso bleichen Kindermädchen beaufsichtigt wurden, aber es waren auch einige Frauen und Männer dabei, die vermutlich vom heimischen Büro aus erfolgreich als Rechtsanwälte oder Unternehmensberater tätig waren. Die Frauen trugen alle Lambswool-Pullis in Camel oder Apricot und darüber die gleiche Perlenkette wie die Tusse, vielleicht gab es da so ein Sondermodell nur für den Killesberg, und die Kinder fanden es natürlich großartig, dass endlich mal was Aufregendes passierte. Irgendwann fing jemand an zu lachen, vermutlich war die Tusse nicht so beliebt, aber das machte es auch nicht besser, weil alle mitlachten, und jetzt fühlte sie sich blamiert.
Zum Glück tauchte in dem Moment die Polizei auf, die wohl irgendjemand alarmiert haben musste (die Tusse war es nicht, die war mit Schreien beschäftigt). Die Beamten gaben sich ziemlich große Mühe, seriös zu wirken, aber einem zuckte immer so der Mundwinkel, und ich war nicht sicher, ob er von Natur aus nervös war oder ob er sich beherrschen musste, nicht zu lachen. Immerhin war er der Erste, der fragte, ob mir etwas passiert sei. Mir war nichts passiert, mir war nur flau im Magen, und das lag an der Aufregung und daran, dass es zwei Uhr nachmittags war und ich noch immer nichts gegessen hatte.
Als wir gerade im Streifenwagen den Papierkram erledigt hatten, tauchte ein weißer Lexus auf und fuhr in die Garage des Luxusschuppens, deren Tür sich wie von Geisterhand öffnete. Offensichtlich der Mann der Tusse. Bestimmt würde er mich wegen versuchten Mordes anzeigen. Kaum war er auf dem Plan, warf sich die Tusse in seine Arme und fing an zu flennen, vorher hatte sie nur geschimpft und gezetert und überhaupt nicht hilfsbedürftig gewirkt. Ich fragte mich, warum sie sich die Mühe machte, der Mann hatte doch bestimmt sowieso eine Geliebte.
Plötzlich fiel mir auf, dass während des ganzen Theaters niemand aus dem Haus gekommen war – für wen war also der zweite Taco bestimmt? Dem Mann schien das trotz des Ablenkungsmanövers auch aufgefallen zu sein, er schaute
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