Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
Lateris, bitte nicht!«, rief Laura, die plötzlich Mitleid fühlte.
»Er hatte auch kein Erbarmen mit dem Wolf«, grollte Lateris vorwurfsvoll. »Er wollte ihn töten, vergesst das nicht, Madame!« Doch dann ließ er die Tatze sinken und begnügte sich damit, den wie gelähmt Dasitzenden mit seiner bedrohlichen Gestalt einzuschüchtern.
Voller Abscheu blickte Laura auf den Scharfrichter. »Tu das bloß nie wieder!«, herrschte sie ihn an. »Und jetzt verschwinde!«
Langsam rappelte der Mann sich auf, verharrte dann neben dem Baum und musterte Laura mit fiebrigen Blicken. Er schien sich zu fragen, was er tun sollte. Sich bei dem Mädchen dafür bedanken, dass es ihm das Leben gerettet hatte – oder es verfluchen, weil es ihn um das bereits sicher geglaubte Blutgeld von zwanzig Silberstücken gebracht hatte?
»Jetzt mach schon!«, fuhr Laura ihn an. »Geh uns endlich aus den Augen!«
Der Henker räusperte sich und verzog verächtlich das Gesicht. Die grünen Augen funkelten vor Heimtücke. »Unsere Wege werden sich noch kreuzen, das merke sie sich!«, knurrte er, seine Wut nur mühsam unterdrückend. Dann spuckte er aus, drehte sich um und hastete davon.
Nachdenklich blickte Laura ihm nach. Sein Ausspruch war ihr merkwürdig bekannt vorgekommen: »Unsere Wege werden sich noch kreuzen, das merke sie sich!« Das hatte sie doch schon einmal gehört. Aber wo? Und von wem?
Percy beendete ihre Grübelei, »‘urtiisch, M ademoiselle, es wird ‘ochste Zeit. Wir müssen zurück!«
Laura glitt vom Rücken ihres Fluglöwen und bedankte sich mit Percy bei Latus und Lateris für die Hilfe. Während die Sonne am Horizont aufging, traten die Wächter die fantastische Reise durch das Licht an, die sie in einer Zeit, die ihnen nur wie ein Augenblick erschien und doch unermesslich war, zurück in die Gegenwart führte.
Als Laura die Augen aufschlug, blendete sie helles Licht, und fröhliche Musik drang in ihre Ohren. Sie blinzelte, richtete sich verwundert auf – und bemerkte, dass sie ihren Pyjama trug und im Bett lag. Komisch – wie war sie bloß hierher gekommen? Und vor allem – wann? Vor dem offenen Fenster leuchtete der Morgen. Die Sonne strahlte, und die Vorhänge blähten sich in einer sanften Brise. Der Wecker auf Kajas Nachttisch zeigte zwanzig vor acht. Aus dem Radio tönte ein alter Song der Beatles: » W e all live in a yellow submarine, yellow submarine, yellow submarine. W e all live…« Von der Freundin war weit und breit keine Spur zu entdecken.
Laura schlug die Decke zurück, stieg aus dem Bett und schlüpfte in die Hausschuhe. Ihre Knie zitterten ein wenig, aber ansonsten fühlte sie sich ganz fit. Einige Male atmete sie tief durch, dehnte und reckte sich, bevor sie ans Fenster trat und hinausschaute.
Die Schneereste, die vor Beginn ihrer Traumreise noch die Nordhänge und die schattigen Senken des umliegenden Hügellandes bedeckt hatten, waren vollständig getaut. Die Luft war angenehm mild und roch nach Frühling. Da wurde Laura klar, was das bedeutete, und ein Riesenschreck fuhr ihr in die Glieder: Sie musste eine geraume Zeit verschlafen haben!
Schon wollte sie zum Schreibtisch eilen, um einen Blick auf den Kalender zu werfen, als die Tür aufgerissen wurde und Kaja ins Zimmer trat. Sie war ebenfalls im Pyjama und trug ihren Kulturbeutel unterm Arm – offensichtlich kam sie geradewegs aus dem Waschraum.
»Laura!« Kaja eilte mit ausgebreiteten Armen zu ihr, umschlang sie und drückte sie ganz fest an sich. »Oh, Laura, ich bin ja so froh, dass du endlich aufgewacht bist!«, sagte sie strahlend.
Auch Laura freute sich. »Wie lange habe ich denn geschlafen?«
»Sieben Tage!«
»Was?« Laura konnte es nicht glauben. »Sieben Tage? Das gibt’s doch nicht!«
Kaja nickte eifrig. »Doch, doch!«, bekräftigte sie. »Es waren fast auf die Stunde genau sieben Tage! Miss Mary hat erzählt, dass ihr am letzten Sonntag kurz nach Sonnenaufgang von eurer Traumreise zurückgekehrt seid – und jetzt ist wieder Sonntag, und die Sonne ist vor kurzem aufgegangen!«
»Das kann doch nicht wahr sein! – Und ich hab wirklich die ganze Zeit geschlafen?«
»Tief und fest wie ein Schlafmonster – ja. Aber warum hast du mir eigentlich nicht erzählt, dass ihr eine Traumreise machen wollt?«
Laura überhörte den vorwurfsvollen Ton in Kajas Stimme. »Wie bin ich denn in unser Zimmer gekommen?«
»Attila Morduk hat dich hergetragen, und ich hab dich ausgezogen und ins Bett gesteckt.« Ein fröhliches
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