Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
flachen, fast vollständig aus Stahl gefertigten Sportschlitten, der dem ursprünglich bei den Indianern Nordamerikas gebräuchlichen Transportschlitten nachempfunden wurde. Im Gegensatz zum Rodeln, bei dem man auf dem Rücken liegt, rast man beim Skeleton bäuchlings und mit dem Kopf voran die Eisbahn hinunter.«
Am oberen Ende der Eisrinne stand eine Holzhütte. Von ihrer Terrasse hatte man einen guten Blick über die Anlage. Skeletonfahrer müssen ganz schön verwegene Typen sein, ging es Laura durch den Kopf, nachdem sie einige Läufe beobachtet hatte. Aufgrund der rasenden Geschwindigkeit kippte immer mal wieder ein Schlitten um. Einige Stürze sahen ziemlich übel aus, sodass sie schon vom bloßen Zusehen Schmerzen verspürte. Die Fahrer rappelten sich zwar allesamt wieder auf, aber einige humpelten schwer, als sie davongingen. Es gehörte wohl einiges an Mut dazu, eine solche Fahrt zu wagen.
»Tja – Skeleton ist halt nichts für Weicheier!«, hörte sie da eine Stimme hinter sich.
Überrascht drehte Laura sich um und sah einen Mann aus der Hütte treten. Er trug eine Pudelmütze und hatte die Hände in den Taschen seines dunkelblauen Overalls vergraben – offensichtlich ein Service-Mann, der im Augenblick nichts zu tun hatte.
Sepp Riedmüller – der Name stand auf einem Aufnäher auf seiner Dienstkleidung – gesellte sich zu den Freunden und deutete auf den Eiskanal. »Die Bahn hier hat ein paar knifflige Kurven, und deshalb muss man höllisch aufpassen, wenn man die Fahrt heil überstehen will.«
Wie zum Beweis schoss im Mittelteil der Strecke ein Schlitten gegen die oberste Begrenzung, kippte um und überschlug sich. Der Fahrer hielt sich eisern an seinem Gefährt fest und schlitterte damit unkontrolliert weiter, bis es nach mehr als fünfzig Metern endlich zum Halten kam. Glücklicherweise schien ihm nichts passiert zu sein.
Laura wandte sich an Riedmüller. »Wie wird so ein Skeleton eigentlich gelenkt?«
»Einzig und alleine durch Gewichtsverlagerung«, erklärte der Mann mit der Pudelmütze. »Und es dauert natürlich, bis man das raus hat. Deshalb sind insbesondere bei Anfängern Stürze nicht zu vermeiden, auch wenn die meisten glimpflich verlaufen. Aber manchmal –« Riedmüller zog ein gequältes Gesicht – offensichtlich gab es gelegentlich doch schlimme Verletzungen. »Und den Wahnsinnigen, der im letzten Jahr unbedingt auf seinen Skiern durch den Eiskanal fahren musste, den hat’s natürlich auch übel erwischt. Schließlich erreicht man dabei eine irre Geschwindigkeit, und wenn man nicht höllisch aufpasst, katapultiert einen die Fliehkraft aus der Bahn.«
Sepp erwies sich als absoluter Skeletonexperte und konnte alle Fragen der drei erschöpfend beantworten. Er erläuterte die Besonderheiten der Hinterthurer Anlage, erklärte die Bauweise der Schlitten und erteilte Auskunft zur Fahrtechnik, sodass es den Freunden schon nach kurzer Zeit so vorkam, als seien sie mit allen Geheimnissen des Sports bestens vertraut. Als Riedmüller sie aber zu einer Fahrt einlud – in der Hütte konnte man Schlitten und Helme leihen –, kniffen sie.
»Nein, danke«, sagte Lukas. »Ich bin doch nicht lebensmüde.«
»Außerdem haben wir gar keine Zeit«, setzte Kevin rasch hinzu. »Wir müssen nach Hause, zum Essen!«
»Bitte – wie ihr wollt!« Sepp Riedmüller grinste breit und zog sich in die Service-Station zurück.
Erst als Laura mit Lukas und Kevin die Terrasse verließ und den Heimweg einschlug, fiel ihr der Schneemann auf, der neben der Hütte stand. Er war richtig groß – über zweieinhalb Meter hoch. Zudem schaute er reichlich grimmig drein für einen Schneemann. Fast böse. Wer immer ihn erbaut haben mochte, musste an dem Tag ziemlich übel drauf gewesen sein. Sonst hätte er ihm wohl kaum diesen Ausdruck verpasst, der eher zum Vögelverscheuchen oder Kindererschrecken taugte als dazu, anderen Freude zu bereiten.
Laura blieb stehen und musterte ihn. Merkwürdig!, dachte sie. Schon wegen dieser fiesen Fratze hätte der Kerl mir doch auffallen müssen. Sie zuckte mit den Achseln, bevor sie sich beeilte, die Jungen einzuholen. Dass der mächtige Schneemann den Kopf drehte und ihr nachblickte, sah sie nicht mehr.
Der Schneekoloss fixierte das Mädchen mit seinen Kohleaugen, die unheimlich funkelten. Und plötzlich hatte es den Anschein, als bewege er sich von der Stelle.
Der Junge in seinem Versteck strich sich das blonde Haar aus der Stirn und spähte ängstlich auf den Mann mit
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