Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
der Knollennase und den spitzen Ohren, der sich auf dem Parkweg unaufhaltsam näherte. Ein Sack aus grobem Leinen hing über dessen Schulter. Doch der Mann schenkte dem halb verfallenen Gartenhaus keinerlei Beachtung. Den Blick starr auf den Boden gerichtet, schlurfte er achtlos daran vorbei. Ein pestilenzartiger Gestank stieg dem Jungen in die Nase.
Puh, das muss aus dem Sack kommen! Ob da ein Kadaver darin ist?, fragte er sich, als er ein Flattern in der Luft hörte.
Der Blonde schaute auf – und sah einen großen Krähenschwarm heranrauschen. Die Vögel begannen zu kreisen, ein riesiger schwarzer Wirbel vor dem bleiernen Grau des Himmels, und folgten dann dem Mann mit dem Sack, der sich in Richtung Wald entfernte. Wenig später waren er und die Krähen verschwunden.
Der weitläufige Park war nun menschenleer, kein lebendes Wesen war mehr zu entdecken. Er konnte es also wagen.
Er musste es einfach wagen! Wenn er nicht bald etwas zu essen bekam, würde er verhungern.
Der Junge wusste nicht mehr, wie lange er sich schon in dem unbekannten Land aufhielt. Wie viele Tage mochten seit der Wintersonnenwende verstrichen sein? Seine Ankunft auf der kleinen Insel im See schien eine halbe Ewigkeit zurückzuliegen. Während er sich noch wunderte, wie einfach es gewesen war, auf den Menschenstern zu gelangen, war ein Mädchen auf einem Schimmel herangeprescht. Er hatte sich gerade noch hinter einem Busch verstecken können. Als Pferd und Reiterin wieder verschwunden waren, hatte er jedoch zu seinem Schrecken feststellen müssen, dass ihm der Rückweg versperrt war. Er konnte nicht mehr nach Hause zurück.
Zumindest vorerst nicht.
Zunächst war er wie gelähmt gewesen. Wie sollte er sich in der Fremde zurechtfinden? Wie sollte er überleben, abgeschnitten von Freunden und Gefährten? Doch dann hatte er sich an seine gute Ausbildung erinnert. Er hatte den besten Lehrmeister gehabt, den man sich nur wünschen konnte, und alles gelernt, was nötig war, um selbst eine anscheinend aussichtslose Lage zu überstehen. Am wichtigsten war es, einen kühlen Kopf zu bewahren. Und vor allem stets auf die Kraft des Lichts zu vertrauen, dann würde sich alles zum Besten wenden.
Als Erstes musste er sich einen sicheren Unterschlupf suchen, der sowohl Schutz vor der Witterung wie vor Entdeckung bot. Den Einheimischen würde sofort auffallen, dass er aus einer fernen Welt stammte. Und was sie dann mit ihm anstellen würden, war fraglich. Würden sie ihm Gastfreundschaft gewähren – oder würden sie ihn einkerkern oder gar töten? Der Blonde wusste es einfach nicht, und so hatte er entschieden, dass es besser war, sich zu verbergen.
Obwohl er weder einen Kahn noch ein Floß auf der Insel finden konnte, fiel es ihm nicht schwer, das Eiland zu verlassen. Er hatte gelernt, sich so tief in sich selbst zu versenken, dass er äußere Einflüsse nicht mehr registrierte. Die eisigen Wasser hatten ihm deshalb nicht das Geringste anhaben können, während er durch den See schwamm, um ans jenseitige Ufer zu gelangen.
Geleitet von den Mächten des Lichts, war er schon nach kurzer Zeit auf das halb verfallene Gemäuer in der hintersten Ecke des weitläufigen Parks gestoßen, der sich vom See bis zu der stattlichen Burg auf der Anhöhe erstreckte. Die Tür war nicht verriegelt, sodass er mühelos in das Häuschen hatte eindringen können. Darin hatte er sich inmitten von Gerümpel ein Lager bereitet und hielt sich dort versteckt. Bei Nacht hatte er Holz im Park und im nahen Wald gesammelt und ein Feuer entfacht, um sich zu wärmen und seine Kleider zu trocknen. Der See bot ihm reichlich zu trinken, nur an Nahrung mangelte es ihm. Es gab kaum Wild in der Umgebung, und da er keine Waffen mit sich führte, war es ohnehin aussichtslos, sich auf die Jagd zu begeben. Nur eine altersschwache Ente war in eine der Fallen gegangen, die er aufgestellt hatte. Ihr Fleisch war zäh wie altes Leder, aber allemal besser als nichts, und hatte ihn für einige Zeit gesättigt. Doch nun hatte er schon seit Tagen keinen Bissen mehr zwischen die Zähne bekommen. Sein Magen knurrte wie ein wütender Wolf, und am Morgen, nach dem Aufwachen, war ihm schwarz vor Augen geworden, so sehr quälte ihn der Hunger. Er musste dringend etwas unternehmen, wenn er nicht in der Fremde sterben wollte, und so hatte er beschlossen, sich in die Burg zu schleichen, wo er mit Sicherheit etwas Essbares finden würde.
Erneut spähte der Junge nach draußen. Dann öffnete er die Tür. Die
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