Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
fragte Laura bestürzt. »Das ist doch viel zu kurz!«
Ungerührt schüttelte der Junge den Kopf.
»Drei Stunden, Lukas! Ich brauche wenigstens drei Stunden, bitte!«
Der Bruder ließ sich nicht erweichen. »Zwei Stunden und keine Sekunde mehr«, wiederholte er ungerührt. »Dann bist du rechtzeitig zum Abendessen wieder da.« Und mit kaum verhohlenem Grinsen fügte er hinzu: »Aber wenn dir die Zeit nicht reicht, kannst du ja Percy bitten, dir zu helfen.«
»Du, Schuft!«, zischte Laura, gab aber nach. »Also gut, einverstanden«, seufzte sie und trat dichter an die Freunde heran. »Hört zu: Ihr müsst einfach nur aufpassen, dass meinem Körper, der hier zurückbleibt, nichts zustößt. Am besten, ihr haltet euch die ganze Zeit hier auf und lasst niemanden ins Zimmer, dem ihr nicht trauen könnt – verstanden?«
Kaja sah aus, als werde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. »Verstanden«, antwortete sie weinerlich. Dann erhob sie sich und umarmte Laura mit feucht schimmernden Augen. »Viel Glück! Pass gut auf dich auf, und komm heil zurück!«
Auch Lukas umarmte die Schwester zum Abschied. »Sei bitte vorsichtig!«, mahnte er eindringlich. »Und riskier bloß nicht zu viel – selbst wenn du nichts über Papa rausfinden solltest!«
Laura nickte beklommen. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, und fast schien es, als sei ihr doch etwas bange. Langsam streckte sie sich auf ihrem Bett aus, schloss die Augen und atmete tief durch. Sie versuchte alles um sich herum zu vergessen und sich in den Zustand zu versetzen, der es ihrem Geist ermöglichte, sich von der Erdenschwere zu lösen. Da kein weiterer Wächter zugegen war, musste Laura die uralten Verse diesmal selbst sprechen:
»Strom der Zeit, ich rufe dich; Strom der Zeit, erfasse mich! Strom der Zeit, ich öffne mich; Strom der Zeit, verschlinge mich!«
Es dauerte diesmal länger, bis sie vom Sog des Lichttunnels erfasst wurde. Ihr Körper widersetzte sich anfänglich ihrem Willen, bis er sich doch dem ewigen Zeitenstrom hingab. Während Kaja und Lukas mit einer Mischung aus Angst und Verwunderung beobachteten, wie die Freundin in eine Bewusstseinsstarre fiel, trat Lauras Traumgestalt die mit menschlichem Verstand nicht zu erfassende Reise durch Zeit und Raum an.
K apitel 21 Die
dunkle Festung
as für ein entsetzlicher Gestank, fuhr es Laura durch den Kopf, eindeutig der beißende Geruch von Schwefel! Sollte Lukas Recht behalten haben? Bin ich tatsächlich in dem tödlichen Sumpf gelandet, an dessen Rand die Dunkle Festung liegt? Laura wurde übel vor Angst, doch da drangen auch schon barsche Rufe und wütende Flüche an ihr Ohr, die sich mit Hufgetrappel und dem Rasseln schwerer Ketten mischten.
Mit angehaltenem Atem öffnete Laura die Augen einen kleinen Spalt – und bemerkte zu ihrer Erleichterung, dass sie diesmal genau am richtigen Ort gelandet war: Sie stand im Innenhof einer riesigen Burg, deren Mauern und Türme fast endlos hinauf in den nächtlichen Himmel ragten. Zwei Monde waren über der düsteren Festung aufgezogen: der gelblich schimmernde Erdtrabant und ein leuchtend blauer – die Erde, wie Laura allerdings erst auf den zweiten Blick erkannte.
Obwohl sich die Dunkelheit über Aventerra gesenkt hatte, war der Burghof in helles Licht getaucht. An mehreren Stellen loderten Feuer, und dazwischen wimmelte es nur so von unheimlichen Gestalten. Es herrschte ein Treiben wie auf einem gespenstischen Jahrmarkt, und in den Schwefelgeruch, der über allem lastete, mischte sich ein fast körperlich zu spürender Hauch des Bösen.
Rasch trat das Mädchen einen Schritt zurück und suchte Schutz im Schatten der Mauer, die den Burghof begrenzte. Verborgen hinter einem Stapel alter Holzfässer – dem beißenden Geruch nach zu urteilen, waren sie ehemals mit Branntwein gefüllt –, ließ es den Blick über den weitläufigen Hof schweifen.
Laura sah Hunderte von Rittern in schwarzen Rüstungen, deren rot glühende Augenpaare wie Kohlen glimmten. Die Männer wärmten sich an den Feuern oder hatten sich in Gruppen auf dem Boden gelagert. Lärmend vertrieben sie sich die Mußestunden mit Würfel- und Kartenspielen, während zerlumpte Pferdeknechte die Streitrösser versorgten. Das schwarze Fell der Zossen gleißte im flackernden Licht. Ungestüm widersetzten die Tiere sich den Zügeln, keilten aus und bockten. Ihr Wiehern und Schnauben hatte nur wenig Pferdehaftes an sich. Es erinnerte vielmehr an die Laute von Raubtieren. Den Knechten, die sie
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