Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
schien. Sein Mund stand leicht offen, die Augen starrten zur Decke. Laura konnte nicht die geringste Bewegung in seinem Gesicht erkennen. Kein Blinzeln, kein Wimpernschlag, kein Atmen – nichts. Fast hatte es den Anschein, als sei alles Leben aus ihm gewichen. Als sei er bereits – tot.
Laura war wie gelähmt. Geschüttelt von Weinkrämpfen, stand sie vor dem Eisengitter.
»Papa«, flüsterte sie mit erstickter Stimme. »Was haben sie bloß mit dir gemacht?«
Und dann fiel es ihr ein: Borboron hatte ihren Vater also tatsächlich in die Todesstarre versetzen lassen.
Die Stimme in ihrem Rücken fuhr Laura wie ein Messerstich ins Herz: »Was treibst du da?«
Laura trocknete die Tränen mit dem Handrücken und wandte sich langsam um. Vor ihr standen der Lange und das Zottelhaar und blickten sie grimmig an.
»I… I… Ich«, stotterte sie, und die Angst, die sie befallen hatte, schnürte ihr beinahe die Kehle zu. »Ich… bringe… Wa… Wa… Wasser.« Endlich hatte sie sich wieder gefasst und deutete mit einer raschen Kopfbewegung auf ihren Vater. »Soll ich ihm auch…?«
Der große Trioktid ließ ein höhnisches Lachen hören. »Du musst neu sein – oder ein Dummkopf!«, sagte er dann. »Der hier braucht kein Wasser mehr. Er braucht überhaupt nichts mehr. Er ist verloren. Obwohl – wenn die nicht bald mit dem Elixier auftauchen, wird er noch mal aus der Erstarrung erwachen. Aber helfen wird’s ihm trotzdem nicht.«
Ein unerwartetes Gefühl der Hoffnung stieg in Laura auf. Wenn Papa tatsächlich zu sich kam, konnte sie vielleicht Kontakt zu ihm aufnehmen. Ein einziger Blickwechsel würde genügen, damit er wusste, dass sie ihn nicht vergessen hatte, dass sie ihn gesucht hatte und alles zu seiner Befreiung unternahm. Das würde ihm sicherlich neuen Mut verleihen und ihm helfen, die Qualen leichter zu ertragen.
Ganz bestimmt!
»Jetzt hör endlich auf, den Erdenmenschen so dämlich anzuglotzen«, fuhr der lange Kerkerknecht sie an, »auch wenn du noch nicht viele von ihnen gesehen haben magst. Bring endlich den Krug zu dem Gefangenen im letzten Verlies!« Damit wandte er sich an den Kleinen. »Begleite sie, und schließ ihr auf!«
»Nicht nötig – ich hab die Tür offen gelassen.«
»Was?« Das Gesicht seines Kumpanen verfärbte sich. »Bist du wahnsinnig geworden?«, brüllte er.
»Reg dich nicht so auf, der Kerl kann sich die nächsten Stunden sowieso nicht bewegen!«
Fassungslos schüttelte der Große den Kopf. »So ein bodenloser Leichtsinn! Der Wein scheint dir allmählich den Verstand zu benebeln. Dass du nachher bloß nicht vergisst abzuschließen! Und wenn das noch mal vorkommt, werde ich dich dem Wachführer melden!«
»Keine Sorge, vergess ich schon nicht«, brummte der Gescholtene. In seinem Ärger versetzte er Laura einen Fußtritt. »Troll dich, du dämliches Gör!«
Laura stolperte los. Unmittelbar nach der Zelle ihres Vaters machte der Gang einen scharfen Knick nach rechts. In dem kurzen Abzweig befanden sich nur noch drei Zellen, sodass sie das letzte Verlies bereits nach wenigen Schritten erreicht hatte.
Die Gittertür stand tatsächlich offen. Der Gefangene lag leblos auf dem verdreckten Steinboden. Sein Rücken war von blutigen Striemen übersät. Die Trioktiden hatten ihm das Gewand vom Oberkörper gefetzt und ihn so lange bearbeitet, bis die Spuren der Hiebe ein netzförmiges Muster auf seiner Haut hinterlassen hatten. Im ersten Moment dachte Laura, der Gefolterte sei tot. Erschrocken stellte sie den Krug auf dem kleinen Holztisch am Gitter ab und kniete neben dem Gefangenen nieder. Er atmete noch, wenn auch schwer. Zum Glück fand sie ein Tuch in einer Tasche von Alariks Wams. Schnell tränkte sie es mit Wasser, wischte dem Verletzten das Gesicht ab und kühlte ihm die Stirn.
Nur Augenblicke später bewegte der Unglückliche kaum merklich die Lippen. »Wa… Wasser«, stöhnte er.
Laura eilte zum Tisch zurück, füllte den Tonbecher, der dort bereitstand, stützte den Kopf des Benommenen und setzte das Gefäß an seinen Mund. Mit geschlossenen Augen begann er zu trinken, wie ein Säugling, der nach der Flasche giert.
»Hab Dank«, stammelte er schwach, nachdem Laura den Becher abgesetzt hatte.
»Psst!«, mahnte das Mädchen und strich ihm beruhigend über die schweißverklebten Haare. »Nicht anstrengen.«
Ungeachtet der Mahnung versuchte der Gefangene die Augen zu öffnen. Seine Lider flatterten unruhig, als er Laura ansah. »Sag… Alienor, wo… ich
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