Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
erwehren, dass ich nachts in der Tat einen Tick schlechter sehe als früher.«
Anstelle einer Antwort ließ Laura nur ein belustigtes Kichern hören. Sein hundertzweiundvierzigster Geburtstag! Sie konnte immer noch nicht fassen, dass der Hausmeister tatsächlich schon so alt sein sollte. Dabei sah er aus wie vierzig. Allenfalls fünfundvierzig!
Das Mädchen verschränkte die Arme über der Lehne des Vordersitzes, stützte den Kopf darauf und spähte angestrengt hinaus in die Nacht. Zunächst sah es nur abgrundtiefe Finsternis, doch dann lösten sich in der Ferne allmählich die Schemen des Klosters aus dem Düster: die Mauer, der Glockenturm und das spitze Dach der Kirche.
Etwa fünfhundert Meter vor den Gebäuden fuhr Morduk nach rechts von der Landstraße ab und bog auf einen schmalen, unbefestigten Feldweg ein, der sie auf die Rückseite der einsamen Abtei führte. Dicht an der Mauer hielt Morduk unter einem mächtigen Wacholderbusch an und schaltete den Motor aus. »Endstation, die Herrschaften«, sagte er grinsend. »Wir sind da.«
Laura warf einen Blick auf die rund zwei Meter hohe Klostermauer, die sich direkt vor ihren Augen erhob. »Ich dachte, hier gäbe es eine Pforte?«, fragte sie verwundert.
»Die gibt es ja auch – aber es wäre wohl kaum eine geheime Pforte, wenn man sie auf Anhieb sehen könnte!«
»Exaktenau!« Lukas ließ ein wissenden Nicken sehen. »Der Eingang ist wahrscheinlich hinter dem Machandelbaum verborgen.«
Laura schaute ihn verwundert an. »Machandelbaum?«
»Ja«, antwortete der Bruder grinsend. »Gemeinhin auch Wacholder genannt!«
Laura verdrehte die Augen. »Und du meinst tatsächlich, dahinter befindet sich die Pforte?«
»Klar.« Lukas griente. »Ist doch nahe liegend!«
»Eben – und genau deshalb liegst du auch falsch.« Attilas Grinsen erinnerte an das eines überdrehten Breitmaulfrosches. »Wer etwas zu verbergen hat, sollte tunlichst das nahe Liegende meiden!«
Lukas zog ein enttäuschtes Gesicht, während Laura sich insgeheim freute. Sie fand es mehr als tröstlich, dass auch Super-Kius gelegentlich daneben tippen konnten.
Nur – wo war der geheime E ingang?
Angestrengt ließ sie den Blick über die Klostermauer schweifen. Sie war aus groben Feldsteinen zusammengefügt, die Fugen und Ritzen waren mit Lehm verschmiert. Im Laufe der Jahrhunderte hatten sich vom Wind herangewehte Samenkörner darin eingenistet und gekeimt, sodass ein Großteil der Wand nun von blattlosem Gestrüpp, verdorrtem Gras und kahlen Knöterichzweigen überwuchert wurde. Von einer Pforte allerdings konnte Laura nicht eine Spur entdecken – bis sie plötzlich den Efeu sah, der sich in der Nähe des Wacholderbusches an der Mauer hochwand. Auf den ersten Blick unterschied er sich nicht im Geringsten von gewöhnlichen Efeuranken. Laura wurde erst stutzig, als ihr in der Fülle der Zweige mit den fast herzförmigen Blättern zwei Ranken auffielen, die in einem Abstand von gut einem Meter fast schnurgerade die Wand emporwuchsen. Sie liefen nahezu parallel. Da kam ihr der Gedanke, dass diese beiden Ranken vermutlich die Ritzen des geheimen Einlasses verdeckten.
Sie blickte Attila Morduk an und deutete wortlos auf den Efeu. Sein lustiges Grinsen verriet, dass ihre Vermutung richtig war.
Dann wurde die Miene des Hausmeisters wieder ernst. »Soll ich euch begleiten?«, fragte er.
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Nicht nötig, Attila. Je weniger wir sind, umso geringer die Gefahr, entdeckt zu werden! Deswegen haben wir doch auch Kaja und Kevin nicht mitgenommen.«
»Das war eine gute Idee«, brummte Attila, bevor er ihnen viel Glück für ihr Unternehmen wünschte. »Und vergesst nicht: Die Holztür neben dem Komposthaufen führt direkt in den Kreuzgang. Von dort aus müsstet ihr ja weiterwissen, nicht wahr?«
»Ja, klar«, antwortete Laura. Sie öffnete bereits die Autotür, als der Zwergriese sie noch einmal ansprach.
»Hast du nicht was vergessen, Laura?«
»Was soll ich denn vergessen haben?«
»Das hier zum Beispiel«, antwortete der Hausmeister und hielt ihr einen metallenen Gegenstand entgegen. »Wie willst du sonst in die Bibliothek gelangen?« Das Teil sah aus wie ein großer Schlüssel. Anstelle eines gewellten oder gezackten Bartes besaß es allerdings nur einen kunstvoll gedrehten Stift. Es war ein Dietrich, wie Laura sofort klar wurde.
»Ein altes Erbstück meiner Familie«, erklärte Attila, während er den geheimnisvollen Türöffner mit leuchtenden Augen bewunderte.
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