Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
andächtigem Blick das traumhafte Firmament bewunderte.
»Nein, noch nie«, hauchte Lukas fast tonlos, die Augen unverwandt auf die Decke gerichtet. »Hast du eine Ahnung, wie das funktioniert? Da muss doch ein Trick dahinter sein?«
»Wieso?« Laura sah den Bruder mit sanftem Lächeln an, und die Worte lösten sich fast ohne ihr Zutun aus ihrem Mund. »Nimm es einfach so, wie es ist, und erfreue dich an dem Anblick. Nicht alles, was man nicht auf Anhieb erklären kann, muss auf einem Trick oder einer Täuschung beruhen. Vieles wird einem erst dann klar, wenn man hinter die Oberfläche der Dinge zu sehen vermag.«
»Und was offenbart dir dein Blick hinter die Oberfläche?«
»Das Wesentliche!«, antwortete Laura trocken.
Ehrfürchtiges Staunen legte sich auf das Gesicht des Bruders. »Das Wesentliche?«
»Ja«, erklärte Laura mit großem Ernst, konnte sich das Grinsen dann aber nicht länger verkneifen. »Nämlich dass wir nicht hierher gekommen sind, um dieses Gewölbe zu bewundern, sondern um nach einem Tresor zu suchen. Schon vergessen, du Superhirn?«
Lukas zog ein muffeliges Gesicht – er konnte es einfach nicht verknusen, wenn man sich über ihn lustig machte.
Die Geschwister durchstöberten die gesamte Bibliothek. Schauten hinter jedes Regal, durchforsteten jeden Winkel und jede Nische. Sie klopften sogar die Wände sorgsam nach verborgenen Hohlräumen ab. Doch all ihre Mühe blieb vergebens. Nirgendwo in dem riesigen Büchersaal war ein Tresor oder ein Panzerschrank zu finden. Im gesamten unterirdischen Archiv gab es nicht ein einziges Möbelstück, in dem man etwas hätte verstecken können. Sie wollten die Suche schließlich enttäuscht abbrechen, als sie doch noch einen Schrank entdeckten. Aber der war als Versteck völlig ungeeignet, denn er befand sich auf einem Fresko, das vom Boden bis zur Decke reichte.
Ein unbekannter Künstler hatte es in der hintersten Ecke des Saales, ganz in der Nähe des geheimnisvollen Sternzeichens, zwischen zwei Regalreihen auf die Wand gemalt. Bei ihrem Besuch mit Percy war es Laura gar nicht aufgefallen. Was nicht weiter verwunderlich war, denn oberflächlich betrachtet hatte es den Anschein, als seien die beiden Bücherregale, die den Gang säumten, einfach nur etwas länger als die anderen Holzgestelle. Und der große Schrank an der Wand am Ende des Ganges sah täuschend echt aus. Laura musste mehrmals hinsehen, bis sie erkannte, dass er, ebenso wie die Regalenden, nur gemalt war.
Neugierig geworden, ging das Mädchen näher. Auch das Interesse von Lukas schien geweckt, und so musterten beide das nahezu lebensechte Möbelstück. Es mochte knapp zwei Meter hoch und gut einen Meter breit sein und wirkte wie aus Holz gefertigt. Seltsamerweise schien der Schrank keine Tür zu besitzen. Auf der gesamten Vorderseite fand sich weder ein Schloss noch ein Griff zum Offnen. Dafür war sie mit kunstvollen Intarsien verziert. Große Quadrate aus hellem und dunklem Holz wechselten sich darauf ab und bildeten ein schachbrettartiges Muster, das jedoch nur vier senkrechte und vier waagrechte Reihen aufwies. Auf jedem dieser sechzehn Felder befand sich eine Tierfigur: Ein Löwe, ein Bär, ein Wolf oder ein Einhorn, sodass auf dem eigentümlichen Spielbrett – vorausgesetzt, es handelte sich um ein solches – je vier Exemplare einer jeden Tierart dargestellt waren. Die Tiere selbst wirkten überaus plastisch und – abgesehen von ihrer Größe – beinahe lebendig.
Laura deutete auf die schmuckvolle Schrankfront. »Was ist das?«, fragte sie. »Soll das eine Art Brettspiel darstellen?«
Zu ihrer Überraschung wusste auch Lukas keine Erklärung. »Ich hab nicht die geringste Ahnung – aber es scheint mir einiges darauf hinzudeuten. Allerdings ist mir so ein Spiel noch niemals untergekommen. Die Aufstellung der Figuren ist reichlich merkwürdig, findest du nicht?«
Stimmt, dachte Laura. In der untersten Reihe wechselten sich Löwen mit Wölfen ab, darüber standen abwechselnd Bären und Einhörner. Und in den beiden restlichen Reihen verhielt es sich genauso.
»Sollte das tatsächlich ein Spiel sein, ist mir völlig schleierhaft, wie die Figuren zu bewegen sind«, fuhr Lukas fort. »Ob und aufweiche Weise man sie auf die anderen Felder zieht, um die gegnerischen Figuren zu schlagen – oder ob vielleicht Spielsteine darauf platziert werden, nach welchem System auch immer.« Ratlos hob der Junge die Hände. »Aber vielleicht hat das alles auch eine ganz andere Bedeutung,
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