Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
»Es gibt nur wenige geschmiedete Schlösser, die ihm widerstehen. Einem meiner Vorfahren ist mit seiner Hilfe sogar gelungen, bis in die privatesten Gemächer des spanischen Hofes vorzudringen. Der Ärmste hatte sich unsterblich in eine wunderschöne Königstochter verliebt und wollte seine Angebetete nur ein einziges Mal und für wenige Augenblicke aus allernächster Nähe bewundern.«
»Wie romantisch«, hauchte Laura mit verklärtem Blick und musste plötzlich an Kevin denken. »Ich hoffe, er hatte Erfolg.«
Attila ließ einen tiefen Seufzer hören. »Ja, leider.«
»Leider?«, wiederholte das Mädchen stirnrunzelnd. »Wieso leider?«
»Weil ihm sonst bis ans Ende seiner Tage verborgen geblieben wäre, dass die Angebetete ihre Schönheit lediglich den Schminkkünsten ihrer Zofe verdankte und sie trotz ihrer Jugend keine makellosen Zähne, sondern ein Gebiss trug. Den armen Kerl traf fast der Schlag bei ihrem ungeschminkten Anblick, und es fuhr ihm ein derartiger Schreck in die Glieder, dass ihn die Palastwachen beinahe erwischt hätten!«
»Geschieht ihm recht, dem Schmachtbold«, muffelte Lukas und knuffte seine Schwester in die Seite. »Jetzt mach endlich!«
Als Laura aus dem Opel stieg, hallte ein schauriger Schrei durch die Dunkelheit. Sie zuckte zusammen, doch dann ging ihr auf, dass es sich lediglich um den Jagdruf eines harmlosen Käuzchens gehandelt hatte.
Die Nacht war feuchtkalt. Die Temperatur war bis nahe an den Gefrierpunkt gesunken. Die Kälte kroch Laura unter den Anorak und ließ sie bibbern. Mit klammen Fingern tastete sie längs der linken Efeuranke über die scharfkantigen Feldsteine der Klostermauer. Es dauerte nicht lange, bis sie den in einer ‘Spalte verborgenen Riegel gefunden hatte. Ein metallisches Klicken war zu hören, als sie daran zog. Gemeinsam mit Lukas stemmte sie sich gegen die Steinwand. Fast ohne Widerstand gab sie dem Druck nach und ließ sich mit erstaunlicher Leichtigkeit bewegen, sodass sich eine Öffnung in der Mauer bildete, durch die die Geschwister in den Klostergarten schlüpfen konnten.
Attila Morduk hatte ihnen den Weg genau beschrieben. Der Kies auf den schmalen Pfaden knirschte unter ihren Schuhen, während sie tief geduckt zwischen den Beeten hindurch zum Komposthaufen schlichen. Die verwitterte Holztür, die in den Kreuzgang führte, war nicht verschlossen, sodass Laura die Hilfe des Dietrichs nicht benötigte.
Das Mädchen und sein Bruder waren kaum darin verschwunden, als eine schattenhafte Gestalt hinter dem Stamm eines alten Walnussbaumes hervortrat, der in der östlichen Ecke des Klostergartens aufragte.
Ihre Augen glimmten, als sie zum Komposthaufen spähte, und ihr Atem kondensierte in der Kälte der Nacht zu Wölkchen. Aber der Rote Tod spürte den Frost nicht. Er war zufrieden mit sich und der Welt. Still lachte er in sich hinein. Alles lief genau nach Plan, und er hatte keinerlei Grund, am Gelingen seines Unternehmens zu zweifeln. Schließlich war das Balg völlig arglos und schien nicht im Geringsten zu ahnen, dass sich die Schlinge um seinen Hals immer enger zuzog. Bald schon würde es ein jähes Erwachen geben für das Gör – aber dann war es zu spät, und es gab keine Rettung mehr.
Die Vorfreude ließ einen wohligen Schauer über seinen Rücken laufen. Ein grausiges Lachen löste sich aus seiner Kehle und hallte durch den Klostergarten, bis es leise verklang und wieder Stille herrschte.
Die Stille des Todes.
Das Schloss in der Bibliothekstür stellte kein Hindernis für Morduks Zauberschlüssel dar. Auch in das geheime Klosterarchiv im Untergeschoss gelangten Laura und Lukas problemlos.
Als der Junge die Bibliothek betrat, klappte ihm die Kinnlade herunter, und seine Augen wurden tellergroß. Ein langgezogenes »Ooohhh« war alles, was ihm in seinem grenzenlosen Erstaunen einfiel.
Am Deckengewölbe prangte wieder der fantastische Nachthimmel mit all seinen funkelnden Sternen und glänzenden Monden. Im ersten Moment wunderte Laura sich noch, dass darauf nicht auch die gleichen dicken Wolken wie draußen über dem Kloster aufgezogen waren. Aber da fiel ihr ein, dass die Decke ja das Firmament von Aventerra zeigte. Auch das geheimnisvolle siebensternige Zeichen, das sie zuletzt über der Dunklen Festung erblickt hatte, stand wieder am Himmel, und sein Leuchten schien das der anderen Sterne zu überstrahlen.
»Hast du so was schon mal gesehen?«, fragte sie den Bruder, der wie angewurzelt auf der Stelle verharrte und mit
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