Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
Er schickte seine Reiter aus, die sieben gefangen zu nehmen. Er ließ sie in Ketten legen und in ein finsteres Verlies werfen, wo er sie höchst selbst aufsuchte und vor eine grausame Wahl stellte: Sie sollten einen aus ihrer Mitte erwählen, der sterben müsse, trug er ihnen auf. Dafür werde den anderen sechs dann das Leben geschenkt. Einen ganzen Tageslauf gab er ihnen, sich zu bedenken. Die sieben jedoch bedurften des Nachdenkens nicht. Entweder er lasse sie alle frei, so verkündete die Älteste im Namen der Geschwister, oder er müsse sie alle sieben töten. Die gegenseitige Liebe und Zuneigung sei so groß, dass es ihnen vollkommen unmöglich sei, einen von ihnen zum Sterben zu bestimmen. Zumal die überlebenden sechs innerhalb kürzester Zeit vor lauter Kummer ebenfalls den Tod erleiden würden.
Solch tapfere Worte hatte der Schwarze Fürst nicht erwartet, und er geriet darüber in rasende Wut. Er zog sein Schwert Pestilenz und tötete die sieben Geschwister mit eigener Hand. Die Mächte aber, die alles Leben spenden, empörten sich über diesen Frevel und waren von der Liebe der sieben so gerührt, dass sie sie in sieben Monde verwandelten und ihnen einen Platz am nächtlichen Himmel zuwiesen. Seither stehen sie als leuchtendes Siegel ihrer grenzenlosen Liebe über der Dunklen Festung, und jeder, der im Stande ist, sie zu sehen, wird durch sie daran erinnert, dass es keine Macht auf der ganzen Welt gibt, die der Liebe gleichkommt. Den Dunklen aber ist seit dieser Zeit nichts mehr verhasst als die Liebe, und keiner von ihnen hat das Wort seitdem mehr über die Lippen gebracht. Wenn sie jedoch einmal nicht umhin können, von der Liebe zu reden, dann sprechen sie anstelle des verhassten Begriffs nur vom ›Siegel der Sieben Monde‹.«
Atemlos ließ Laura das Blatt sinken und blickte den Bruder mit leuchtenden Augen an. »Du hast tatsächlich Recht gehabt«, sagte sie. »Das Siegel der Sieben Monde ist gar kein Gegenstand, wie wir die ganze Zeit vermutet haben, und kann deshalb auch gar nicht gefunden werden. Es ist nur ein Wort, ein Begriff- und deshalb kommen die Lösung des Schrankrätsels und das Siegel der Sieben Monde am Ende tatsächlich auf das Gleiche raus, wie die Löwen behauptet haben.«
Zu Lauras Überraschung zeigte der Bruder eine betretene Miene. »Für einen Moment habe ich das auch gedacht, aber dann ist mir eingefallen, dass das nicht stimmen kann.«
»Warum denn nicht?«, fuhr Laura ihn unwirsch an. »Was soll denn da nicht stimmen können?«
»Ganz einfach: ›Liebe‹ besteht zwar ebenfalls aus fünf Buchstaben, genau wie das Wort, nach dem wir suchen.«
»Ja, und?«
»Und trotzdem kann es nicht das Lösungswort sein, denn uns fehlt ein I!«
Laura schien nicht zu verstehen, was der Bruder meinte. »Ein I?«, fragte sie verblüfft.
»Ja – ein I. Keines der vier Tiere, die auf dem Schrank abgebildet sind, beginnt mit einem I, und deshalb kann man aus ihren Anfangsbuchstaben auch nicht das Wort ›Liebe‹ bilden, wie immer man auch über die Felder ziehen mag.«
Mit offenem Mund starrte Laura den Bruder an. Verflixt – daran hatte sie gar nicht gedacht! Lukas hatte Recht: Es gab zwar ein L, ein E und auch ein B, aber das I fehlte. Stattdessen gab es nur ein W – W wie Wolf. Aber das konnte doch nicht sein? Alles passte so perfekt zusammen, dass ein Irrtum praktisch ausgeschlossen schien. Und dennoch -
In diesem Moment fiel ihr die Lösung ein. »Natürlich, Lukas!«, rief sie aus, und ihr Gesicht strahlte heller als der hellste Stern. »Natürlich geht das!«
Der Bruder glotzte, als habe er einen Alien vor sich. »Aber wie denn, Laura? Das ist doch unmö –«
»Nur Geduld«, fiel Laura ihm ins Wort, um dann verschmitzt grinsend hinzuzufügen: »Du wirst schon bald verstehen!« Dann wurde sie wieder ernst: »Pass auf: Wir warten bis Mitternacht, damit wir sicher sein können, dass alle schlafen. Dann schleichen wir uns zu Attila und fahren mit ihm zum Kloster, um den Kelch zu holen.«
»Und was ist mit Kaja und Kevin? Nehmen wir die auch mit?«
Laura schüttelte den Kopf. »Nein, das wäre viel zu auffällig. Außerdem ist es besser, wenn die im Internat die Augen offen halten und uns per Handy warnen, falls die Dunklen doch noch Verdacht schöpfen sollten.«
»Okay, du hast Recht.«
»Ich geh schon mal zu Morduk und warne ihn vor. Wir beide treffen uns dann Punkt Mitternacht vor seiner Hütte, verstanden?«
»Kein Problem. Ich bin doch kein Spar-Kiu.«
Laura grinste
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