Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
nur noch, bevor ihr fliegt – wenn sich noch mal die Not ergibt, kannst du allein die Löwen wecken und selbst sie aus dem Steine schrecken!«
»Echt?«, staunte das Mädchen. »Sorry, dass ich dich belästigt habe, Portak, aber das hab ich wirklich nicht gewusst!«
»Ich weiß, mein Kind, drum sprech ich’s an, weil keiner alles wissen kann. Ein jeder Mensch erst lernen muss, was hilfreich ist zum guten Schluss.«
Portak vergewisserte sich, dass Laura und Kevin fest und sicher saßen. Dann machte er alles wieder genauso wie in jener Nacht, als er die Traumreisenden vor der Gestaltwandlerin gerettet hatte. Er zeigte mit den Armen auf die Köpfe der Sandsteinfiguren und sprach die alte Beschwörungsformel, die im Kreis der Wächter weitergegeben wurde seit Anbeginn der Zeiten: »Hört zu, ihr Löwen Rechts und Links, die ihr die Brüder seid der Sphinx; in dieser Stunde größter Not, auch ihr gehorcht des Lichts Gebot und löst euch nun aus totem Stein, damit ihr könnt behilflich sein!«
Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Lateris und Latus zum Leben erwacht waren. Im Gegensatz zu damals allerdings, als sie ihr lautes Brüllen gleich einem wütenden Donnergrollen durch den Burghof geschickt hatten, waren die geflügelten Skulpturen diesmal auf Stille bedacht. Fast hatte es den Anschein, als wüssten sie, dass Laura und Kevin sich auf einer geheimen Mission befanden, von der tunlichst niemand erfahren sollte.
Laura beugte sich nach vorn und kraulte ihren Fluglöwen ganz sachte hinter dem linken Ohr. »Hey, Lateris«, flüsterte sie ihm zu. »Ich find’s super, dass wir wieder zusammen sind.«
»Freue mich ebenfalls ganz unbändig, M adame«, gab der Löwe geschmeichelt zurück.
»Danke! Und jetzt bringt uns bitte zum Kloster. Ihr wisst hoffentlich, welches ich meine und wo es liegt?«
»Wollt ihr uns beleidigen, M adame?«. Der Löwe klang gekränkt. »Das Kloster ist Latus und mir wohl bekannt – wenngleich wir uns selten einigen können, wie wir am schnellsten dorthin gelangen!«
» S orry!« Laura grinste belustigt und wandte sich dann Kevin auf dem anderen Löwen zu. »Halt dich gut fest, es geht los!«
Schon breiteten Latus und Lateris die gewaltigen Schwingen aus und erhoben sich völlig geräuschlos in die Lüfte. Die Reiter auf ihren Rücken schienen sie überhaupt nicht zu spüren. Mühelos stiegen die Löwen empor zum nächtlichen Himmel, durchstießen die letzten nebeligen Schwaden, die um den großen Turm drifteten, und glitten hinaus in das glitzernde Firmament. Hoch über der Erde durchmaßen sie die Winde und flogen mit Laura und Kevin dem fernen Kloster entgegen.
Nur gelegentlich blickte das Mädchen nach unten. Hin und wieder zogen die flackernden Lichter einer menschlichen Ansiedlung in der Tiefe vorbei. Oder die Scheinwerfer eines Autos leuchteten auf einer einsamen Landstraße unter ihnen auf. Meist jedoch sah Laura nur Dunkelheit, und ihr war, als flögen sie durch einen riesigen Dom aus schwarzem Samt dahin, in dem Gestirne silbrig funkelten. Laura fühlte sich geborgen, und eine Welle satter Zufriedenheit durchströmte sie. Jegliches Gefühl für Zeit und Raum fiel von ihr ab, und als die geflügelten Fabeltiere ganz sachte im Garten hinter dem Kloster aufsetzten, hatte sie nicht die geringste Ahnung, wie lange der wundersame Flug gedauert haben mochte. Als Laura vom Rücken ihres Löwen glitt, fühlte sie sich immer noch leicht, beinahe schwerelos. Dann jedoch kehrte sie in die Realität zurück. Eindringlich mahnte sie Latus und Lateris, keinen Ton von sich zu geben, während sie auf ihre Rückkehr warteten, und schlug mit Kevin an ihrer Seite den Weg zum geheimen Klosterarchiv ein.
Ohne den geringsten Zwischenfall gelangten die beiden in die Bibliothek unter der Erde. Morduks Zauberschlüssel öffnete ihnen jede Tür. Dennoch schien Kevin nicht ganz wohl zu sein in seiner Haut. Seine Miene verdüsterte sich von Sekunde zu Sekunde mehr. Immer wieder blickte er sich beklommen um, und während sie sich eilig dem Wandbild näherten, über dem die Sieben Monde so hell leuchteten, als freuten sie sich über das Wiedersehen mit Laura, wirkte sein Gesicht derart verkniffen, dass das Mädchen schon befürchtete, er werde jeden Moment in Tränen ausbrechen.
Vor dem Fresko angelangt, beschied Laura dem Jungen zu warten. »Was immer auch geschieht, rühr dich nicht vom Fleck, und warte, bis ich zurückkomme.«
Kevin sah sie verständnislos an. »Bis du zurückkommst? Wo willst du denn
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