Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
die Öffentlichkeit gelangte. Zu jenen Zeiten, als es weder Zeitungen, weder Radio noch Fernsehen gab und das Telefon genauso unbekannt war wie Reisen in fremde Länder, musste es ein Leichtes gewesen sein, unliebsame Kritiker und Denker mundtot zu machen und zu verhindern, dass ihre Erkenntnisse verbreitet wurden.
War das vielleicht der Grund, warum niemand etwas über das Siegel der Sieben Monde wusste? War der Schlüssel zu seinem Geheimnis vielleicht in dieser verborgenen Bibliothek zu finden? Hatte Pater Dominikus es ihr offen legen wollen und war deshalb in das Gewölbe hinuntergestiegen?
Percy fand Lauras Überlegungen gar nicht so abwegig. »Klingt durschaus logosibel, wie dein Bruder sagen würde«, erklärte er lächelnd. »Allerdings – warum ‘at der Pater bei eurem Besuch bestritten, disch auf dieses Siegel ‘ingewiesen zu ‘aben?«
Laura schaute den Lehrer tadelnd an. »Aber Percy! Das hab ich dir doch schon erklärt: Weil er vor dem Abt nicht reden wollte, deshalb!«
» M ais oui, excusez – moi, M ademoi –« Plötzlich brach der Lehrer ab und erblasste. »Ist dir bewusst, was das bedeuten kann, Laura?« Percys Stimme klang erstickt.
Fragend sah das Mädchen ihn an.
»Das bedeutet vermutliisch, dass zumindest der Abt die Bibliot’ek ‘ier niischt kennt. Des’alb ‘at Dominikus in seiner Anwesen’eit niischt reden können! Und noch viel weniger konnte er eusch das Ge’eimarschiv mit den gesammelten Schätzen ‘ier zeigen!«
Natürlich! Das musste es sein!
»Mögliischerweise sind nur wenige der Brüder mit diesem Ge’eimarschiv vertraut«, fuhr Percy fort, »und werden es des’alb vermeiden, die anderen ‘ier’er zu fü’ren.«
Laura runzelte die Stirn. »Demnach müssen wir uns auf eine längere Wartezeit einrichten?«
Percy nickte. »Iisch fürschte, ja – es sei denn, unsere Freunde in Ravenstein vermissen uns und veranlassen des’alb, dass man uns sucht. Du ‘ast Kaja doch bestimmt erzä’lt, wo wir ‘infahren, oder?«
»Das schon, aber –«
»Aber was?«
»Ich hab ihr auch gesagt, dass es spät werden kann, bis wir zurückkommen. Sehr spät – und dass sie ruhig schon schlafen gehen soll.«
» M on D ieu!«
Laura schaute betreten zu Boden. Nein, von der. Freundin hatten sie keine Hilfe zu erwarten.
K apitel 10 Ein
böses Erwachen
aja überflog den letzten Absatz und schlug das Physikbuch zu. Es war genug für heute. Außerdem hatte sie in den letzten Tagen bereits intensiv mit Laura gelernt. Das musste genügen als Vorbereitung auf den morgigen Test.
Bevor sie das Buch wegräumte, starrte sie für einen Moment nachdenklich vor sich hin. Sie verstand Laura nicht. Okay – das Treffen mit dem Mönch mochte wichtig sein. Aber warum hatte sie es nicht verschoben? Nur um einen einzigen Tag? Warum war sie bloß so stur und musste unbedingt zu diesem gottverlassenen Kloster fahren? Wenn sie nun tatsächlich so spät zurückkam, wie sie angedeutet hatte, dann würde sie in der Frühe wieder todmüde sein. Wenn ihr deshalb wieder nichts einfiel wie beim letzten Mathetest, dann war die Paukerei der vergangenen Tage völlig umsonst gewesen!
Unwillkürlich schüttelte Kaja die roten Locken und griff gedankenverloren zum letzten Stück Schokolade, das im zerfetzten Silberpapier vor ihr auf dem Schreibtisch lag. Mit annähernd Lichtgeschwindigkeit verschwand es in ihrem Mund.
Der Wecker auf dem Nachttisch zeigte fünf vor sieben. Prompt fühlte Kaja eine gewaltige Leere im Bauch; ihr Magen knurrte. Höchste Zeit fürs Abendessen!
Das Mädchen wollte gerade das Zimmer verlassen, als von draußen ein Lichtschein auf den geschlossenen Vorhang fiel. Die Scheinwerfer eines Autos wahrscheinlich, denn von ihrer Bude aus konnte man hinunter auf den Lehrer-Parkplatz sehen. Mit der vagen Hoffnung, dass Laura und Percy vielleicht doch schon zurückkamen, eilte Kaja zum Fenster, zog die Vorhänge zur Seite und blickte hinaus.
Es war in der Tat ein Auto. Allerdings handelte es sich nicht um den alten Peugeot von Percy Valiant, sondern um die noch um einiges ältere Limousine von Professor Morgenstern, einen vorsintflutlichen Opel Kapitän. Der Wagen hielt auf dem für den Direktor reservierten Stellplatz, die Scheinwerfer erloschen, die Fahrertür wurde geöffnet, und Aurelius Morgenstern stieg aus. Was Kaja reichlich merkwürdig fand. Sie hatte noch nie erlebt, dass der Direktor höchstpersönlich am Steuer saß. Wenn er schon mal seinen Wagen benutzte – was allerdings
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