Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
in ihren Rücken getrieben. Doch der Schmerz wurde von einem Gefühl grenzenloser Erleichterung überlagert. Noch wirbelte die Welt wie ein Mahlstrom vor Lauras Augen umher, aber bald beruhigte sich das wilde Kreiseln, und ihr Blick wurde klar. Fassungslos starrte sie in die Tiefe. Sie konnte den schäumenden Wildbach erkennen, der auf dem Grund der Höllenklamm in seinem Felsenbett dahinrauschte. Selbst der strenge Frost der letzten Tage hatte ihn nicht zu bändigen vermocht. Übelkeit stieg in Laura auf, und sie spürte einen Würgereiz im Hals.
Aber da war Kevin auch schon heran. Atemlos keuchend hielt er neben ihr an und beugte sich über sie. »Bist du okay? Hast du dir wehgetan?«
Laura verzog das Gesicht. »Keine Ahnung«, stöhnte sie. »Ich glaub, es ist alles in Ordnung.«
Langsam versuchte sie sich aufzurichten. Auch wenn sie jedes Körperteil spürte, gelang ihr das beinahe mühelos. Vorsichtig bewegte sie Arme und Beine, ließ den Kopf kreisen, reckte und dehnte sich – es war alles heil. Nichts war gebrochen, und auch Bänder, Sehnen und Muskeln schienen den fürchterlichen Sturz unbeschadet überstanden zu haben. Nur im Rücken war ein zunehmendes Puckern zu spüren, und die linke Wange schmerzte. Sie war aufgeschürft und blutete ein wenig.
Kevin schaute das Mädchen immer noch besorgt an. »Ist es sehr schlimm?«
»Geht so«, antwortete Laura und mühte sich zu einem Lächeln.
Der Junge atmete erleichtert auf. »Ein Glück! Das hat ja richtig übel ausgesehen. Was ist denn passiert? Du hattest doch sonst nie Probleme an dieser Stelle, oder?«
»Stimmt.« Für einen Moment starrte Laura nachdenklich vor sich hin. »Ich versteh das auch nicht. Die Bindungen sind ganz plötzlich aufgegangen, alle beide, und dann hab ich auch schon den Abflug gemacht.«
»Die Bindungen?« Kevin zog ein verwundertes Gesicht. »Aber – deine Ski sind doch ganz neu, oder?«
»Natürlich. Ich hab sie erst zu Weihnachten bekommen. Dass gleich beide Bindungen defekt sein sollen, ist schon mehr als merkwürdig, eigentlich so gut wie ausgeschlossen. Und deshalb glaube ich –«
Sie brach ab und starrte wie abwesend in die Ferne. Sie war plötzlich ganz ernst geworden.
»Was?«, bedrängte Kevin sie. »Was glaubst du?«
Laura schaute den Jungen eindringlich an. »Ich glaube, dass hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht! Und ich habe auch schon einen Verdacht!«
»Du täuschst dich, Laura, ganz bestimmt!« Sayelle Leander-Rüchlin sah vom Abendbrotteller auf und musterte ihre Stieftochter kopfschüttelnd. »Das wäre schon ein großer Zufall, wenn Dr. Schwartz seinen Urlaub ebenfalls in Hinterthur verbringen würde! Hast du nicht erwähnt, dass er in die Karibik reisen wollte?«
»Ja, schon.« Laura nickte. »Jedenfalls hat er das erzählt. In der letzten Chemiestunde vor den Ferien. Aber vielleicht hat er sich kurzfristig anders entschieden.«
Sie stieß ihren Bruder an, der neben ihr saß und mit einer Riesenportion Dampfnudeln kämpfte. »Kannst du mir bitte die Schüssel rüberreichen?«
Lukas gab missmutige Laute von sich, griff dann aber doch zu der Terrine aus feinstem Porzellan, die vor ihm auf dem Tisch stand.
Während Laura sich von der Mehlspeise auftat, warf sie der Stiefmutter einen Verständnis heischenden Blick zu. »Wie auch immer – ich bin jedenfalls ganz sicher, dass dieser Mann in der Pistenwachtkluft niemand anderer als Quintus Schwartz gewesen ist.«
Sayelle verzog ungläubig das Gesicht. »Und ich bin sicher, dass du dich täuschst, ganz bestimmt. Selbst wenn es Schwartz gewesen sein sollte – was könnte das mit deinem Sturz zu tun haben?«
»Ähm… ich… ähm.« Laura wechselte einen raschen Blick mit Lukas. Der schüttelte kaum merklich den Kopf.
Lukas hatte Recht. Ihre Stiefmutter durfte nicht erfahren, dass Laura vermutete, Dr. Schwartz, ihr Chemielehrer, habe den Unfall mit Hilfe seiner telekinetischen Fähigkeiten verursacht. Sayelle wusste nämlich immer noch nichts von den geheimnisvollen Dingen, die vor Weihnachten auf Burg Ravenstein vorgefallen waren. Sie ahnte nicht einmal, was für aufregende Abenteuer Laura und Lukas auf der Suche nach dem Kelch der Erleuchtung erlebt hatten. Welchen Gefahren sie ausgesetzt gewesen waren, bevor sie Professor Morgenstern und den Hüter des Lichts im letzten Augenblick vor dem sicheren Tod retten und damit die Erde und Aventerra vor dem Untergang bewahren konnten. Und natürlich hatten die beiden ihrer Stiefmutter auch
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