Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
irre Gelächter durch die Luft. »Mich gelüstet nach dem Mägdelein, das sich in deiner Begleitung befindet. Ich hab es schon von weitem gerochen. Es schmeckt bestimmt ganz köstlich! Köstlich! Köstlich!«
»Wirst wohl darauf verzichten müssen!«, rief der Levator. »Hab nämlich dieses oder jenes mit dem Mädchen vor!«
Alienor verstand überhaupt nichts mehr – was konnte Aeolon mit ihr vorhaben?
»Was geht das mich an, du Narr?«, kreischte der Sturmdämon. »Gib mir das Mägdelein – oder du stirbst! Stirbst! Stirbst!« Die Harpyie stieg höher, öffnete den zahnlosen Greisenmund und blies. Ein mächtiger Windstoß, der nach Tod und Pestilenz roch, schlug Alienor entgegen und fuhr in das Segel des Luftfloßes, das umgehend ins Wanken geriet. Auch Aeolon schwankte heftig im fauligen Wind, und der Bogen glitt aus seinen Händen.
Darauf hatte die Harpyie nur gewartet. Sie spreizte die Klauen zum Angriff, als ein herrischer Ruf durch die Lüfte erschallte. Wie vom Schlag gerührt, hielt der Sturmdämon inne, drehte den Kopf und spähte nach oben.
Erstaunt tat Alienor es der Harpyie gleich – und erblickte Pfeilschwinge, der im Äther über ihr kreiste, bereit, jeden Moment in die Tiefe zu stoßen und das Untier zu attackieren.
Das jedoch war nicht nötig. Syrin ergriff kampflos die Flucht. Allerdings kreischte sie Alienor vorher noch an: »Du entkommst mir nicht! Nicht! Nicht!« Dann flatterte sie eilig davon.
Pfeilschwinge schickte einen Siegesschrei hinter ihr her. Dann spähte er mit seinen scharfen Augen hinunter auf das Luftfloß, als wolle er sich vergewissern, dass Alienor sich tatsächlich an Bord befand.
Nun wird Paravain bald wissen, wo ich bin, ging es dem Mädchen durch den Kopf, als der Adler abdrehte und majestätisch davonsegelte.
Alienor sah ihm noch eine Weile nach, bevor sie sich an den Levator wandte. »Wie kommt es, dass du Borboron Tribut zahlst?«, fragte sie vorwurfsvoll.
D ie Wacholderbüsche und Brombeersträucher standen so dicht, dass Laura nicht weiterreiten konnte. Sie saß ab, schlängelte sich durch die stacheligen Zweige und näherte sich langsam der aufgeworfenen Erde. Eine unwirkliche Stille herrschte auf dem Alten Schindacker, seit die Spatzen, empört zeternd, davongeflattert waren.
Neben dem Erdhügel gähnte eine rechteckige Öffnung im Boden. Laura schluckte und blickte sich angespannt nach allen Seiten um. Doch es war niemand zu entdecken. Mit angehaltenem Atem machte sie einige Schritte auf das Erdloch zu und wagte einen vorsichtigen Blick in die Grube. Sie war vielleicht zwei Meter tief und vollkommen leer – bis auf einige verrottete Holzstücke. Die Überreste eines Sarges vielleicht?
Laura spähte angestrengt in das Loch. Sie konnte aber nicht erkennen, welchem Zweck die Bretter einmal gedient haben mochten. Eines aber war klar: Die Grube musste schon vor geraumer Zeit ausgehoben worden sein. Die daneben aufgehäufte Erde hatte sich bereits gesetzt. Ein Gefühl der Bedrohung beschlich Laura. Ihr war, als werde sie beobachtet.
Laura fuhr herum – doch es war nur Sturmwind, der neben dem Wacholderstrauch ungeduldig mit den Hufen scharrte und nun ein ängstliches Schnauben hören ließ. Es klang fast, als wolle er sagen: Lass uns verschwinden, Laura!
S chnell!
Sturmwind hat Recht, dachte das Mädchen, wir sollten so schnell wie möglich abhauen, und lief auf den Hengst zu. Plötzlich stolperte Laura über ein Hindernis und schlug der Länge nach hin. Sie rappelte sich wieder auf – das rechte Knie schmerzte etwas – und blickte verwundert auf die Erhebung, die sie zu Fall gebracht hatte. Neugierig bückte sie sich und schob trockene Gräser und Efeuranken zur Seite. Ein grauer Stein kam darunter zum Vorschein, der eine Inschrift trug, die jedoch kaum zu entziffern war.
Es handelte sich wohl um einen Grabstein, denn die einzigen Worte, die Laura lesen konnte, lauteten R equiescat in pace. Obwohl sie keinen Lateinunterricht hatte, wusste sie natürlich auch so, was das bedeutete: Er ruhe in Frieden. Der Name des Toten dagegen war völlig unleserlich. Die Buchstaben waren im Laufe der Zeit so verwittert, dass sie nur noch ausgewaschene Rillen und Löcher bildeten. Einzig das Sterbejahr konnte Laura erahnen: 1156. Ein heißes Kribbeln lief über ihren Kopf und kroch dann den Rücken hinunter – sie stand direkt am ungeweihten Grab des Roten Todes!
Wie von Sinnen sprang Laura auf, und als seien die Dämonen der Hölle hinter ihr her, rannte sie zu
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