Laura Leander 06 - Laura und das Labyrinth des Lichts
Sorgen macht, oder so was Ähnliches.«
»Warum soll er sich deswegen Sorgen machen?«, mischte sich die Schwester wieder ein.
Lukas stand kurz davor, die Geduld zu verlieren. Trotzdem versuchte er, ruhig zu bleiben: »Weil es auffällig viele Krähen sind«, erklärte er. »Und ›nichts geschieht ohne besonderen Grund, auch wenn man diesen nicht auf Anhieb zu erkennen vermag‹. Genau das hast du doch immer behauptet, oder nicht?!«
»Was?«, erwiderte Laura entrüstet. »Ich soll einen solchen Blödsinn gesagt haben? Niemals! Natürlich passieren manche Dinge rein zufällig. Und in diesem Jahr gibt es eben rein zufällig eine Unmenge Krähen!«
Lukas schwieg und betrachtete die Schwester nachdenklich. Noch vor wenigen Monaten hätte sie so etwas niemals behauptet – was nur ein weiterer Beweis dafür war, dass sie sämtliche Erinnerungen an ihre Zeit als Wächterin verloren hatte.
Lukas lehnte sich wieder in den Sitz zurück und gähnte. Das monotone Brummen des Automotors lullte ihn mehr und mehr ein. Er rieb sich die Augen und drückte die Nase ans Fenster, um hinaus in die mondlose Nacht zu starren. Die ganze Umgebung war in tiefstes Dunkel gehüllt. Von den Wiesen und Feldern, durch die sich die einsame Straße schlängelte, war kaum etwas zu erkennen. Büsche und Bäume flogen als undeutliche Schemen vorbei. Ab und an meinte er, dicht stehende Schatten zu erkennen, ein Wäldchen vielleicht oder eine größere Gruppe von Bäumen.
Lukas gähnte erneut und wollte sich schon abwenden, als sich mit einem Mal unzählige Lichtpunkte aus der Dunkelheit schälten, feuerrot und groß wie Eierkohlen. Sie schwebten rund zehn Meter entfernt neben dem Auto her. Obwohl Marius ein ordentliches Tempo vorlegte, hielten sie spielend mit dem Wagen mit.
Was war das?
Lukas kniff die Augen zusammen und spähte angestrengt nach draußen. Deutliche Konturen lösten sich aus der Schwärze der Nacht: eine Hundemeute, die neben dem Auto herhetzte! Es waren mindestens zwei Dutzend riesige schwarze Bestien, die Lukas mit glühenden Augenpaaren anstarrten. Ihre geifernden Lefzen entblößten rasiermesserscharfe Gebisse, die ihn mit Leichtigkeit in Stücke reißen konnten.
»O nein!«, schrie Lukas in maßlosem Entsetzen, als die Hunde auch schon wieder verschwanden.
»Was ist?« Marius warf einen raschen Blick über die Schulter und sah ihn besorgt an. »Was hast du denn?«
Auch Laura hatte sich umgedreht. »He, du hast mich erschreckt, du Blödmann!«
»Ähm, sorry«, stammelte er. »Es ist nichts.«
»Hirni!«, knurrte die Schwester kopfschüttelnd.
Auch der Vater verzog unwillig das Gesicht, bevor er sich wieder der Straße zuwandte.
Lukas schluckte und schwieg betroffen. Die Vision hatte die Befürchtungen, die er seit Tagen hegte, ein weiteres Mal bestätigt: Etwas Schreckliches würde geschehen, davon war er überzeugt.
Kapitel 7 Die
Geburt des
Einhorns
ur das sanfte Schnauben der Einhornstute brach die weihevolle Stille im Karfunkelwald. Es war, als hielten alle Geschöpfe des Waldes den Atem an angesichts des wundersamen Geschehens, das sich auf der versteckten Lichtung abspielte. Die Nacht war mild und vom geheimnisvollen Licht der beiden Monde durchwirkt, die hoch am Himmel über Aventerra standen: der Goldmond und der blaue Menschenstern. Mächtige Bäume mit üppigen Kronen säumten die von Leuchtblumen übersäte Wiese wie ein Kreis stummer Wächter. Ihr dichtes Blattwerk schimmerte blaugrün und warf Schatten auf den nachtblauen und fast runden See in der Mitte der Lichtung.
Hunderte kleiner Lichtkugeln, kaum größer als Glühwürmchen, schwebten durch die Luft und tanzten einen nächtlichen Reigen – verirrte Erleuchtlinge. Die Traumspinner im nahen Traumwald hatten sie einstmals losgeschickt, um den Bewohnern des Menschensterns Botschaften zu überbringen. Doch anstatt sich auf den mühsamen Weg zu machen, auf dem die Grenze zwischen den Welten überwunden werden kann, hatten die unsteten Geschöpfe Zuflucht im Karfunkelwald gesucht. Seitdem vagabundierten sie ziellos zwischen den Bäumen und Büschen umher.
Gelegentlich vertrieben sie den Einhörnern die Zeit, die als einzige Wesen auf Aventerra die Botschaften der Traumspinner verstanden. Meist aber verbrachten die Erleuchtlinge ihre Zeit anscheinend ziellos. Das Leben im Karfunkelwald jedoch folgte keinem schnöden Zweckdenken, und so störte sich niemand am müßigen Treiben der Erleuchtlinge. Sie waren dort wohlgelitten, obwohl die Bewohner des
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