Laura Leander 06 - Laura und das Labyrinth des Lichts
ungelenken Bewegungen überquerte er die Reste der Steinmauer, die den Alten Schindacker einst vom fruchtbaren Land abgetrennt hatte, und stieg den Wolfshügel hinauf. Dann lenkte er seine Schritte in Richtung der Burg, auf der er Jahrhunderte zuvor als Roter Kons, der gefürchtete Scharfrichter des grausamen Ritters Reimar von Ravenstein, seinen Dienst versehen hatte.
Konrad Köpfer lächelte, als freue er sich über das grenzenlose Unheil, das er auch diesmal wieder über die Welt bringen würde.
T ief im Dunkel des Schattenforsts lauerte das Grauen. Laura Leander konnte nicht sehen, worum es sich handelte, doch sie spürte eine dämonische Präsenz, die wie eine eisige Hand nach ihr griff. Frostige Schauer liefen ihr über den Rücken, während sie den Pfad entlanghetzte, der immer tiefer in den Wald hineinführte. Zwischen den mächtigen Bäumen hatte sich abgrundtiefe Schwärze eingenistet. Irgendwo hinter diesem undurchdringlichen Vorhang lauerte das unheimliche Wesen, das Laura seit geraumer Zeit verfolgte und sich einfach nicht abschütteln ließ. Im Gegenteil – es kam immer näher! Laura rechnete damit, jeden Moment gepackt und ins Walddunkel gezerrt zu werden, wo sie der sichere Tod erwartete.
Lauf, Laura, lauf, so schnell du kannst!, feuerte sie sich immer wieder an. Lauf, sonst bist du verloren!
Dabei merkte sie längst, dass ihre Kräfte schwanden. Allzu lange würde sie nicht mehr durchhalten. Fest entschlossen rannte das Mädchen weiter, immer auf das trübe Zwielicht in der Ferne zu. Das fahle Leuchten war jedoch kaum mehr als ein vager Hoffnungsschimmer. Laura wusste weder, ob das schwache Licht Rettung verhieß, noch ob der schmale Waldpfad überhaupt dorthin führte. Und dennoch – wohin sonst sollte sie fliehen?
Laut keuchend eilte sie dahin, den Blick auf den Pfad gerichtet, damit sie nicht über ein unvermutetes Hindernis stolperte, einen abgebrochenen Ast vielleicht oder eine aufragende Baumwurzel. Das Herz in Lauras Brust hämmerte so laut, dass sie das Echo der Schläge zwischen den Bäumen zu hören glaubte. Das Blut pulsierte in ihren Schläfen, die Lungen brannten wie Feuer.
Unheimliche Geräusche drangen an Lauras Ohr: ein Zischen und Fauchen, ein Stöhnen – und ein Klackern wie von klauenbewehrten Tatzen.
Die Dunkelheit zwischen den Bäumen ballte sich immer dichter zusammen, wie ein schwarzes Loch, das alles um sich herum zu verschlingen drohte. Lauras Beine wurden so schwer, dass sie die Füße kaum vom Boden lösen konnte. Sie kam nur unter größten Mühen noch voran. Dann plötzlich griff etwas nach ihr – ein unsichtbares Gespinst, das sie festhalten wollte. Instinktiv versuchte Laura, die unheimlichen Fesseln abzustreifen, doch es gelang ihr nicht. Immer enger und fester schlangen sich die Stränge um sie, bis sie sich kaum noch bewegen konnte.
Da erblickte sie vor sich eine Gestalt: ein Mann, groß und kräftig, eingehüllt in einen langen schwarzen Mantel, mit einem Gesicht fahl wie der Tod. Die eingesunkenen Augen leuchteten wie glühende Kohlen. Mit höhnischem Grinsen hob er das mächtige Schwert, dessen tiefschwarze Klinge trotz der Dunkelheit deutlich zu sehen war. Scharlachrote Flecken wie von Blut klebten daran. Gerade wollte er zuschlagen, als eine weitere Gestalt in einem weißen Gewand zwischen den Bäumen hervorsprang und sich auf ihn stürzte. Ein zorniger Schrei entfuhr der Kehle des Schwarzen, wild und rau wie aus dem Schlund der Hölle. Er wollte dem Weißen gerade an die Gurgel gehen, da wurden sie beide unvermittelt vom Pfad gewirbelt, als habe ein mächtiger Sog sie geradewegs ins Herz der Finsternis gezogen.
Während Laura noch entsetzt hinter ihnen herstarrte, kam ein weiteres Wesen auf sie zu: ein Drache mit zwei Köpfen. Das giftgrüne Ungeheuer riss beide Mäuler auf und fauchte ihr zwei gewaltige Feuerzungen entgegen. Erst im letzten Augenblick konnte das Mädchen sich wegducken und der wabernden Lohe entgehen – aber da wurde der Drache ebenfalls vom unheimlichen Sog verschlungen.
Er war kaum verschwunden, als ein geflügeltes Geschöpf auf Laura herabstieß: eine Harpyie mit Gesicht und Oberkörper einer hässlichen Greisin, bewehrt mit mächtigen Geierschwingen. Ein widerlicher Pesthauch wehte Laura aus dem zahnlosen Mund entgegen und raubte ihr den Atem. Doch obwohl das Ungeheuer ihr die spitzen Krallen ins Gesicht schlug und die Wangen zerfetzte, spürte Laura nicht den geringsten Schmerz. Trotzdem wandte sie sich ab und
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