Laura Leander 06 - Laura und das Labyrinth des Lichts
versuchte zu fliehen, kam jedoch keinen Schritt vorwärts. Ihre Füße waren bis über die Knöchel im Boden eingesunken, als stünde sie inmitten eines Moors.
Nur einen Augenblick später legte sich ein frostiger Hauch wie eine Wolke aus glühendem Eis um ihren Körper. Ihr Atem stockte, und das Blut in ihren Adern drohte zu erstarren, als sie das Wesen erblickte, das nun zwischen den Bäumen hervortrat und langsam auf sie zuhielt.
Nie zuvor hatte Laura derart Grauenvolles erblickt. Es musste ein Dämon sein. Er war riesig, besaß weder klare Konturen noch ein Gesicht – und verhieß nur Tod und Verderben. Eine entsetzliche Kälte strahlte von ihm ab, sodass Laura schon fürchtete, ihr Herz würde auf der Stelle zu einem Eisklumpen gefrieren. Sie wollte zurückweichen, als eine unsichtbare kühle Hand sich um ihre Kehle legte und zudrückte.
Keuchend riss Laura den Mund weit auf, doch sie bekam keine Luft. Im Gegenteil: Ihr war, als sauge der Dämon allen Sauerstoff aus ihren Lungen! Mit eisernem Griff umklammerte er sie, während sie hilflos um Atem rang. Ihre Sinne begannen bereits zu schwinden, als aus dem Nichts eine Gestalt neben ihr auftauchte: ein Junge mit einer Strickmütze und modischem Anorak. Er streckte ihr die Hand entgegen. »Halt dich fest, Laura, schnell!« Aber da verblasste das Abbild auch schon wieder, und die Worte verklangen. Das unheimliche Wesen vor ihr zerfloss zu einem wirbelnden Nebel aus abgrundtiefer Schwärze, der sie mehr und mehr einhüllte – und da wusste Laura, dass es kein Entrinnen mehr gab.
Das war das Ende!
»Nein«, röchelte sie mit ersterbender Stimme, und ein letzter erstickter Schrei löste sich aus ihrer Kehle: »Neeeiinnn!«
L aura fuhr in ihrem Bett hoch, öffnete die Augen und schrie erneut in Panik auf: »Neeein!«
Erst dann erkannte sie, dass das Gesicht, das ihr in einer Mischung aus Mitleid und Entsetzen entgegenblickte, keinem Dämon gehörte, sondern einem Mädchen – ihrer Freundin Katharina Löwenstein. Erleichtert atmete Laura auf und seufzte: »Meine Güte, Kaja, du hast mich zu Tode erschreckt!«
»Du mich auch!« Vorwurfsvoll schüttelte das sommersprossige Mädchen den Kopf. »Du warst so unruhig und hast im Schlaf gestöhnt und geschrien, dass ich mir ernsthaft Sorgen um dich gemacht habe.«
Laura antwortete nicht. Sie starrte zum Fenster des kleinen Zimmers, das sie zusammen mit Kaja bewohnte. Es war bereits hell. Die Märzsonne schob sich gerade über den Horizont und schickte erste Strahlen nach Burg Ravenstein und in den weitläufigen Park, der das altehrwürdige Internat umgab. Vogelgezwitscher drang durch das geöffnete Fenster, eine milde Brise bauschte die Gardinen und wehte frischen Frühlingsduft herbei. Laura nahm das nur am Rande wahr. Ihre Gedanken waren immer noch in dem schrecklichen Albtraum gefangen. Nach einem raschen Blick auf den Wecker, der 6:45 Uhr anzeigte, erzählte sie ihrer Freundin davon. »Ich verstehe einfach nicht, woher diese entsetzlichen Träume kommen«, schloss sie mit belegter Stimme. »Es muss doch einen Grund geben, warum diese Schreckgestalten mich immer wieder quälen.«
»Du meinst diese … weißen und schwarzen Ritter?«, fragte Kaja beklommen.
»Genau.« Laura nickte. »Aber die wären ja noch zu ertragen. Viel schlimmer sind all die grässlichen Ungeheuer und Monster, die ständig hinter mir her sind. Das ist doch nicht normal!«
»Aber wieso denn?«, sagte die Freundin leichthin. »Jeder träumt doch mal was Merkwürdiges.«
»Schon möglich, aber bestimmt nicht so einen Unsinn wie ich in letzter Zeit!«, widersprach Laura vehement. »Da muss ich unbedingt einen seltsamen Kelch finden und das nächste Mal ein Schwert, das ich auch noch zusammenschmieden soll. Dann will mich eine riesige silberne Sphinx verschlingen, und ein Drache mit zwei Köpfen macht Jagd auf mich.« Kopfschüttelnd schaute sie die Freundin an. Der Schrecken des Albtraums verschattete immer noch das hübsche Mädchengesicht mit den glatten schulterlangen Blondhaaren. »Heute Nacht war es besonders schlimm. Das Wesen, das mich verfolgt hat, war so Grauen erregend, dass ich es gar nicht beschreiben kann.« Sie beugte sich nach vorn und packte Kaja so unvermittelt am Arm, dass die erschrocken zurückzuckte. »Wenn ich nur wüsste, woher das kommt.«
»Woher wohl? Das ist doch nahelie…«, sprudelte Kaja hervor, bis sie urplötzlich abbrach und die Hand vor den Mund schlug, um sich am Weitersprechen zu hindern.
»Was ist
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