Laura Leander 06 - Laura und das Labyrinth des Lichts
langen Tische zu beiden Seiten des Mittelgangs waren höchstens zu zwei Dritteln besetzt. Schuld daran trug die Austrittswelle zum Ende des letzten Schuljahres. Damals hatten verschiedene Zeitungen eine Hetzkampagne gegen Direktor Morgenstern geführt und viele Eltern dazu bewogen, ihre Sprösslinge abzumelden.
Kaja war viel zu spät dran. Ohne nach links oder rechts zu sehen, eilte sie mit einem Salatteller auf ihren Platz zu, am dritten Tisch auf der Fensterseite. Mit der Zeit hatte sich dort eine feste Stammbesetzung herausgebildet, zu der neben Kaja und Laura noch Lukas Leander, Magda Schneider und einige Schüler aus höheren Klassen gehörten.
Inzwischen war ein weiterer Ravensteiner hinzugekommen: Yannik Anders. Er ging in dieselbe Klasse wie Lukas, was jedoch nicht der einzige Grund war, weshalb die beiden inzwischen Freunde geworden waren. Zum einen hatten sich die Jungen auf Anhieb sympathisch gefunden. Zum anderen aber war Lukas – und natürlich auch Kaja! – schon nach kürzester Zeit klar geworden, dass Yannik zu den Wächtern gehören musste. Schließlich hatten beide aus nächster Nähe miterlebt, wie Laura vor über einem Jahr in diesen erlauchten Kreis eingeführt worden war, der seit Anbeginn der Zeiten darüber wachte, dass die Mächte des Bösen auf der Erde nicht die Oberhand gewannen.
Da Yannik genau wie Laura im Zeichen der Dreizehn geboren war, verfügte er auch über alle drei Fähigkeiten, die sie einmal besessen hatte. Diese Gaben unterschieden die Wächter und ihre erbittertsten Feinde, die Dunklen, von gewöhnlichen Menschen: Gedankenlesen, Telekinese und Traumreisen. Laura hatte es durch geduldiges Üben zur wahren Meisterschaft darin gebracht, bis sie auf dem Höhepunkt ihres Könnens auf diese Fähigkeiten verzichten musste, um ihre Mutter aus dem Reich der Schatten zu erlösen.
Während Kaja langsam und genüsslich ein Blatt Salat nach dem anderen verspeiste, stieß sie den neben ihr sitzenden Lukas sanft in die Rippen und raunte ihm zu: »Wir müssen dringend was unternehmen!«
»Hä?« Der Junge, der sonst für seine schnelle Auffassungsgabe bekannt war, musterte sie durch seine dicke Hornbrille so ratlos wie ein Maulwurf eine Sudoku-Aufgabe. »Wofür oder wogegen?«
»Wegen Laura, meine ich«, antwortete Kaja gedämpft, damit die anderen am Tisch ihre Worte nicht mitbekamen. »Sie ist total durcheinander, und ich habe den Eindruck, dass es mit jedem Tag schlimmer wird.« Mit grimmigem Blick starrte sie zur Stirnseite des Speisesaals, wo auf einem Holzpodest das gesamte Kollegium einschließlich des Direktors die Mahlzeiten einnahm. »Ich frage mich auch, warum weder Professor Morgenstern noch Miss Mary oder Percy etwas unternehmen, um ihr zu helfen!«
»Sie werden ihre Gründe dafür haben«, gab Lukas zurück, während er sich eine Riesengabel Spaghetti Carbonara in den Mund schaufelte. Seine restlichen Worte waren kaum verständlich: »Außerdem muss man mit bestimmten Problemen allein fertig werden, sonst kommt man nie darüber hinweg.«
»Mag sein.« Kaja nickte und formte eine Schnute. »Aber bei Laura liegt die Sache anders. Sie hat doch überhaupt keine Chance, die Ursache ihrer Probleme zu erkennen. Wie soll sie da in der Lage sein, sie zu überwinden?«
Lukas’ Blick machte deutlich, dass er seiner Nachbarin so viel Scharfsinn gar nicht zugetraut hätte. »Da könnte was dran sein«, brummte er und zog die Stirn kraus – ein sicheres Zeichen, dass er intensiv über ein Problem nachdachte oder etwas ebenso stark in Zweifel zog. Manchmal auch beides.
»Warum flüstert ihr dauernd miteinander, zum Geier?« Magda Schneider sah die beiden vorwurfsvoll an. »Oder ist das so geheim, dass wir nichts davon erfahren dürfen?«
Kaja und Lukas tauschten fragende Blicke. Sollten sie Magda einweihen oder nicht? Da meldete sich überraschend Yannik zu Wort. »Ihr macht euch Sorgen um Laura, nicht wahr?«
»Äh …«, stammelte Kaja verwundert. »Wie … Wie kommst du darauf?«
»Professor Morgenstern hat mir alles erzählt«, antwortete der Junge mit freundlichem Lächeln. »Ich bin am gleichen Tag wie Laura geboren, und ich denke, ihr wisst, was das bedeutet.«
»Ja, was denn, zum Geier?«, ereiferte sich Magda und warf ihm giftige Blicke zu. »Oder gehst du jetzt auch noch unter die Geheimniskrämer?«
Yannik sah Kaja unverwandt an. Seine samtschwarzen Augen kamen ihr wie ein geheimnisvolles Versprechen vor. »Ihr könnt mir vertrauen«, sagte er sanft. »Ich bin
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