Laura Leander 06 - Laura und das Labyrinth des Lichts
durch ein Herz aus Stein ersetzen, indem er auf seine dämonischen Kräfte und das geheime Wissen aus der Uralten Offenbarung zurückgriff. Doch mit genau denselben Kräften hat er es auch geschafft, sein wahres Herz vor dem Stich jedweder Waffe zu schützen. Er badete es im Blut eines schwarzen Einhorns, und kein Dolch und kein Schwert, nicht einmal die schwerste Lanze kann ihm etwas anhaben. Es gibt nur ein einziges Mittel, den Dämon unschädlich zu machen: Sein Herz muss von einem Gegenstand durchstoßen werden, in dem die Kraft des reinen Lichts gespeichert ist.«
»Die Kraft des reinen Lichts«, flüsterte das Mädchen verwundert. »Aber was könnte das sein?«
»Ganz einfach: das Horn der Einhornkönigin. Und das ist der Grund, weshalb der Herrscher der Finsternis die Einhörner weit mehr hasst als alle anderen Geschöpfe unter der Sonne!«
D er Rettungshubschrauber benötigte keine zehn Minuten bis zur Unfallstelle. Obwohl Anna und Marius mit dem Auto unterwegs waren, brauchten sie nur unwesentlich länger. Papa muss gefahren sein wie der Teufel, dachte Lukas. Gemeinsam mit den Eltern starrte er auf den Helikopter, der mit langsam laufenden Rotoren im Zielauslauf der Abfahrtsstrecke stand. Zwei Sanitäter schoben eben die Trage mit der immer noch besinnungslosen Laura in die offene Ladeluke, während ein dritter Mann in gebückter Haltung zu ihnen eilte. Er hatte einen blonden Bürstenschnitt und trug eine signalrote Weste, auf der in knallgelben Lettern die Aufschrift »Notarzt« zu lesen war.
Eine erste Untersuchung noch auf dem Hang hatte keine eindeutige Diagnose erbracht. Immerhin bestätigte der Notarzt Lukas’ Vermutung: Laura hatte keinerlei äußere Verletzungen davongetragen. Zudem waren sämtliche Knochen heil geblieben, und es deutete auch nichts auf innere Blutungen oder ernste Organschäden hin. Aber obwohl der Arzt nichts feststellen konnte, war Laura noch immer bewusstlos.
Als Anna Leander sich mit besorgter Miene nach ihrer Tochter erkundigte, sah der Notarzt sie durch seine runde Nickelbrille bedauernd an. Hilflos hob er die Schultern. »Tut mir leid, Frau Leander, aber im Augenblick kann ich wirklich nichts Genaueres sagen. Wir müssen Laura erst gründlich untersuchen und bringen sie deshalb ins Krankenhaus von Hohenstadt.«
»Aber …« Lukas schluckte und äugte beklommen zum Hubschrauber, der inzwischen seine Schwester mitsamt den Sanitätern verschluckt hatte. Das dumpfe »Flapp, Flapp« der Rotoren hallte wie die Ankündigung drohenden Unheils in seinen Ohren. »Es ist doch hoffentlich nichts Schlimmes, oder?«
Der Mann mit dem Bürstenschnitt zögerte eine Sekunde, dann zuckte er erneut die Achseln. »Ich weiß es wirklich nicht, mein Junge«, antwortete er mit belegter Stimme. »Wie bereits gesagt: Bevor wir deine Schwester nicht gründlich durchgecheckt haben, wäre es mehr als fahrlässig, eine Diagnose zu stellen.« Damit wandte er sich um und eilte auf den Helikopter zu.
Kaum war er in der Ladeluke verschwunden, als diese auch schon einrastete. Die Motoren brüllten auf, die Rotoren drehten sich schneller und schneller, bis die einzelnen Blätter nicht mehr zu erkennen waren und wild kreisende Wirbel bildeten. Dann löste sich der Rettungshubschrauber vom Boden und stieg in den frühlingsblauen Himmel.
Lukas und seine Eltern sahen ihm besorgt hinterher, bis er kaum größer war als ein Vogel und das Rotorengeräusch in der Ferne verhallte.
Lukas brach die einsetzende Stille. Er wandte sich seinen Eltern zu und blickte sie betroffen an. »Es tut mir so leid«, sagte er leise. »Wenn ich gewusst hätte, dass so was passiert, hätte ich Laura doch niema…«
»Aber nicht doch, Lukas!«, fiel der Vater ihm ins Wort. »Das ist nicht deine Schuld. Es war ein Unfall, und du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen. Schließlich bist du ebenfalls gestürzt!«
»Dein Vater hat Recht«, pflichtete Anna ihrem Mann bei. Sie wuschelte dem Jungen tröstend durchs blonde Haar. »Lasst uns ins Krankenhaus fahren. Vielleicht finden sie ja schnell heraus, was Laura fehlt.«
Alle drei machten kehrt und gingen mit schleppenden Schritten zum Wagen. Ohne ein weiteres Wort stiegen sie ein.
Als Marius schließlich davonfuhr, teilten sich die Zweige eines in der Nähe stehenden Haselnussstrauches. Ein Mann mit pechschwarzen Haaren und einem gebräunten Cäsarengesicht trat aus dem dichten Gebüsch hervor: Dr. Quintus Schwartz. Die schmalen Lippen des Konrektors von Ravenstein verzogen
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