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Laura, Leo, Luca und ich

Laura, Leo, Luca und ich

Titel: Laura, Leo, Luca und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Maiwald
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physiognomisch keine Konkurrenz. Den einen, Anfang 20, mit halblangem Haar, abgeschnittenen Jeans und begriffsstutzigem Blick, identifizierte ich schnell und ungerecht als klassischen Marihuana-Konsumenten. Der andere, ein altersloser Kauz in Ballonseide, weigerte sich demonstrativ, Notizen zu machen, während ich brav alles mitschrieb. Als einziger Deutscher dachte ich, es könnte nicht schaden, auch mal zu wissen, was Kompass überhaupt auf Italienisch heißt.
    Es war ja schon größenwahnsinnig von mir, den Prüfungsmarathon auf Italienisch absolvieren zu wollen, als wäre eine fremde Sprache, die man zwischen Volkshochschule und Ehestreitigkeiten aufgeschnappt hat, kein Problem in einer staatlichen Prüfung. Die Prüfung selbst ging ich dann aber optimistisch an. Ich war mir sicher, ich hatte alles gelernt. Wir trafen uns vor dem Marineamt in Grado. Rundherum marschierten Menschen in aufregend weißen Uniformen. Marine, das wäre vielleicht was gewesen, dachte ich bei mir. Gut ein Dutzend Prüflinge warteten auf die Kommission. |97| Immer zu dritt wurde man reingerufen. Ich meldete mich freiwillig für den ersten Durchgang. Ich hatte meine Windrichtungen ja drauf.
    Hier kam nun das Problem. Wir wurden also zu dritt reingerufen, nahmen zu dritt gegenüber den drei Mitgliedern der Kommission Platz – und dann schnappte sich jedes Kommissionsmitglied einen Prüfling zugleich! Es erhob sich ein riesiges Geschnatter, ein grandioses Durcheinander auf engstem Raum wie in einer Aperitif-Bar, und ich kam schlicht nicht mehr mit. Die plötzliche Konfusion überforderte meine Sinne. Klar, dass ich auch noch in der Mitte saß. Und dann passierte unfassbarerweise Folgendes: Das Handy meines Prüfers klingelte, er klemmte es sich seelenruhig zwischen Schulter und Ohr, plauderte mit seinem Freund und deutete auf ein Blatt mit Seezeichen, die ich ihm erklären sollte, während links und rechts von mir das Verhalten bei Unwetter und Maßnahmen bei Feuer an Bord abgefragt wurden. Das war zu viel für mich. Hätte jemand meine Augenlider angehoben, hätte er, wie bei Tom und Jerry, ein Schild entdeckt: »Zu vermieten«.
    Besonders schlimm: Nini war mit mir reingegangen, um zu sehen, wie ich mich schlug. So blamierte ich gleich mal uns beide. Dabei war das Blatt, das mir der Prüfer vorlegte, schlicht eine Kopie aus meinem Übungsbuch, eine Seite, die ich schon hundert Mal vorher gesehen und anhand derer ich alles gelernt hatte. Eine Steilvorlage? Ein Elfmeter ohne Torwart? Richtig. Ich allerdings brach in Panik aus. Und dann saß ich da.
    |98| Und. Ich.
    Wusste.
    Nichts. Mehr.
    Null. Komma nichts.
    Würde ich behaupten, mein Gedächtnis wäre vor der Kommission eine weiße Leinwand gewesen, so täte ich den weißen Leinwänden dieser Welt unrecht, die ja zumindest grundiert sowie auf einen Holzrahmen gespannt sind. Ich hingegen war mir plötzlich nicht einmal mehr sicher, um welchen Führerschein es hier eigentlich ging.
    Ich fing also an zu nuscheln, um einfach etwas zur Geräuschkulisse beizutragen. Das befriedigte den Prüfer nicht. Nini stöhnte und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Ab und zu versuchte er mich zu motivieren,
dai, dai
, aber es brachte nicht viel. Der Prüfer wollte mein Bestes. Er stellte eine Frage, dann begann er für mich den Antwortsatz. »Welche Farbe hat Steuerbord?«, wollte er also wissen, und dann antwortete er: »Steuerbord hat die Farbe g…, gr…, grü…, na?«
    Zwanzig Minuten dauerte das Martyrium. Dann gratulierte mir der Prüfer zum
patente nautica
. Hätte er mir gesagt, er wäre mein leiblicher Vater, mein Staunen wäre unwesentlich größer gewesen. Ich kann es mir nur so erklären. Ich musste einen Prüfer erwischt haben, der seinerseits mal von Nini mit der Frau des Bankdirektors im Bett erwischt worden war. Seitdem herrscht zwischen den beiden eine Übereinkunft, die etwa lautet: Ich sag’s keinem, dafür lässt du meine Schüler unter keinen Umständen durchfallen.
    |99| Anschließend gingen Nini, die beiden anderen Schüler (die mit Bravour bestanden hatten) und ich in eine Frühstücksbar. Ich gab in rhythmischen Abständen einen neuen Satz zum Besten:
Mi faccio schifo
, Ich bin von mir selbst angewidert. Es war das erste Mal seit meiner Zivildienstzeit, dass ich vor dem Mittagessen ein Bier trank. Und, bei Gott, ich brauchte es.

|100|
Mein Jagdrevier
    E s ist ja nicht so, dass ich auf dieser Sonneninsel namens Grado so vor mich hin lebe, mir morgens Cappuccinos, mittags

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