Laura, Leo, Luca und ich
Tramezzini und abends Weine verabreiche und die einzige körperliche Betätigung, der ich mich hingebe, sich darin erschöpft, Lilli in den Kindergarten zu tragen und anschließend mein Golfbag auf ein elektronisch betriebenes Kart zu schnallen. Obwohl ich nicht leugnen will, dass es auch solche Tage schon gab. Nein, manchmal mache ich auch richtig aufregende Sachen, und zumeist ist es Mario, der mich mitnimmt. Ich habe das Gefühl, Mario betrachtet mich als sein persönliches Experiment: Wie weit kann er gehen, diesen etwas ungeschmeidigen Deutschen zu einem waschechten Italiener umzuformen? Manchmal bringt er mir ein paar fantasievolle Flüche in friulanischem Dialekt bei, lässt sie mich mehrfach wiederholen und betrachtet mich dabei wie ein zufriedener Professor eine Reaktion im Reagenzglas.
Zu einem Italiener gehört eine gewisse Respektlosigkeit vor Regeln und Anordnungen, was jeder sicher schon einmal erlebt hat, der versuchte, an einer viel befahrenen |101| Straße einen Zebrastreifen zu überqueren. Ordnungswidrigkeiten wie etwa die Erschleichung freien Eintritts sind nicht gerade Volkssport, aber doch um einiges akzeptierter als in Deutschland. Meine kriminelle Energie köchelt allerdings seit jeher auf kleiner Flamme, nicht sosehr aus moralischen Erwägungen, sondern aus Furcht vor dem Erwischtwerden. Ich habe ja schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich einen Polizeiwagen nur sehe. Einige meiner Kumpels zur Grundschulzeit waren bemerkenswert fähige Süßigkeitenstehler, aber ich dachte immer nur: Was, wenn ich geschnappt würde? Was würden meine Eltern sagen und was mein Mathelehrer? Später am Gymnasium kam Schwarzfahren in Mode, etwa so wie Teetrinken und U2, aber ich konnte mich für nichts davon erwärmen. Bei Letzteren konnte ich wenigstens noch ästhetische Gründe vorbringen, aber als Schwarzfahrer in einem 4 0-Personen -Bus entlarvt zu werden, hätte mich vermutlich vor Scham sterben lassen.
Zurück zu Mario. Er nimmt mich im Sommer immer mit zum Fischen. Um vier Uhr morgens verlassen wir den Hafen in seinem Schlauchboot und fahren an eine ganz bestimmte Stelle, an der ein Teil der Lagune ins offene Meer mündet. Dort gibt es ordentlich Strömung, erzählt Mario, und das mögen die
lecce
. Die
leccia
, zu Deutsch Gabelmakrele, kann bis zu einem halben Meter lang werden und schmeckt wie Kalbfleisch mit Flossen, aber sie ist zu schlau, um sich mit der Angel fangen zu lassen. Also begibt sich Mario selbst ins Wasser. Mit Taucheranzug, Schnorchel und Harpune. Dabei |102| gilt es allerlei Sicherheitsbestimmungen und Regeln zu beachten. Wir beachten keine einzige. Das, was wir tun, ist streng genommen Wilderei.
Ich sitze also im Schlauchboot und halte nach der
Guardia Costiera
Ausschau, während Mario unter mir taucht. Seine Jagdtechnik hat er über die Jahre perfektioniert: Er treibt geduldig in Bauchlage an der Wasseroberfläche und atmet durch den Schnorchel. Wenn sich eine Leccia nähert – wir bleiben beim italienischen Namen, weil alle Fischer, mit denen ich gesprochen habe, mir hoch und heilig versicherten, dass eine Leccia eine Leccia ist und eben keine Gabelmakrele; diese spezifische Leccia gebe es nur rund um Grado und in der oberen Adria, und ich bin ja kein Meeresbiologe; der Einschub war viel zu lang, aber keine Angst, der Satz fängt noch einmal von vorn an –: Wenn sich eine Leccia nähert, schlägt er mit der flachen Hand aufs Wasser, denn die Leccia, weiß Mario, ist neugierig. Dann taucht Mario ab und sehr oft mit einer Leccia wieder auf, durchlöchert und noch etwas zuckend. Manchmal müssen wir sie zu zweit ins Boot hieven. Sicher ist ein Harpunenschuss humaner als das qualvolle Sterben im Netz oder an einem Köder. Und moralisch zu rechtfertigen ist es auch, weil wir nämlich am Abend in geselliger Runde die Leccia essen. Diese Rechtfertigungsrhetorik ist bitter nötig, wenn so ein 4-Kilo -Fisch erst einmal zu meinen Füßen liegt, auf dem Boden des Schlauchboots sich Schlieren aus Blut und Meerwasser bilden, Mario sich wieder in die Tiefe verabschiedet hat und ich eine innere Zwiesprache mit |103| dem Tier halte. »Lieber Fisch, ich hoffe doch sehr, du nimmst das nicht allzu persönlich. Außerdem hoffe ich, dass das nur noch irgendwelche Nervenzuckungen sind und du schon längst im Himmel beziehungsweise in der Tiefsee bist, wo du mit deinen Eltern und Großeltern die leckersten Krebse und Muscheln, die dir quasi von selbst ins Maul strömen, verschlingen darfst.« Wenn Mario
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