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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boetius
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und winzigen Fältchen einer jungen Haut ihre Aura bewirken, obwohl sie, oberflächlich betrachtet, völlig glatt zu sein scheint, kann jenes feine Sprungnetz zum lebendigen Eindruck eines Gemäldes beitragen. Es gehört zu seiner Patina, hierin dem Nachdunkeln mancher Pigmente vergleichbar, in denen sich die Zeit als schöpferisch erweist. Sie setzt auf eine höchst behutsame Weise im Verlauf der Jahrhunderte die kreative Arbeit am Bild fort.
    Echte Patina sollte vom Restaurator immer respektiert werden. Es gibt jedoch auch falsche Patina, wie zum Beispiel spätere Übermalungen, schlechte Firnisse, die stark vergilben, starke Verletzungen der Malschicht durch Blasenbildung oder Risse. Hier liegt das Betätigungsfeld meines Berufs, hier können wir uns als Ärzte begreifen, die die Krankheiten ihrer Patienten so behutsam und schmerzlos wie möglich zu heilen versuchen. In diesem Fall machte das Craquelé einen ausgezeichneten Eindruck. Es gab praktisch keine größeren Risse oder Sprünge. Dafür war jenes unsichtbare Alters-Craquelé von wunderbarer Feinheit und Regelmäßigkeit.
    Bei meinem Absuchen der Bildoberfläche entdeckte ich einen Daumenabdruck am rechten Rand der Leinwand. Im Streiflicht war zu erkennen, daß er sich auf der Malschicht und nicht auf dem darüberliegenden Firnis befand. Ich fuhr zusammen. Es war ein privates Signal des Künstlers über alle Zeiten hinweg. Er hatte die noch feuchte Leinwand wahrscheinlich an eine Stelle getragen, wo sie möglichst staubfrei trocknen konnte. Ich spürte eine Erregung, die ich mir später als einen Anfall von Eifersucht erklärte. Jener Mann hatte stundenlang die Gentildonna betrachtet. Er hatte sie beim Malen mit seinen Augen in einer Weise erfaßt, wie es kaum die Augen eines Liebhabers vermögen.
    Meine Meinung vom guten Zustand des Gemäldes erhielt einen ersten Dämpfer, als ich die Hände der Dame näher in Augenschein nahm. Mir war bereits aufgefallen, daß sie schmutzig wirkten, so, als käme die Gentildonna gerade aus ihrem Garten, wo sie Unkraut gejätet hatte. Dies war ein abstruser Gedanke. In Wahrheit waren die Schmutzspuren an den Fingern nicht gemalt. Sie waren die Folge eines Durchwachsens des schwärzlichen Untergrundes. Offenbar hatte das Inkarnat einen Teil seiner Deckkraft verloren.
    Ich untersuchte nach dieser betrüblichen Entdeckung das gesamte übrige Inkarnat besonders sorgfältig. Dekolleté und Hals waren in gutem Zustand. Hier schien die Farbe ihre Deckkraft behalten zu haben. Die Hauttöne des Gesichts sahen besonders frisch und intakt aus. Gerade hier entdeckte ich jedoch eine zweite unangenehme Entwicklung, den Keim einer bei alten Bildern häufig zu beobachtenden Krankheit.
    Ich ermittelte die allerersten Ansätze von Blasenbildung. Ihre Ursache ist eine stärkere Schrumpfung des Untergrundes. Die Malschicht hebt sich dadurch blasenförmig ab. Gewöhnlich tritt dieses Phänomen zwischen Grundierung und dem eigentlichen Bild auf. In diesem Fall vermutete ich jedoch etwas anderes. Ein winziger Schnitt mit dem Skalpell verschaffte mir Gewißheit. – Die Blasenbildung fand zwischen den beiden Gesichtern statt. Dies konnte nur heißen, daß die Malschicht des Männerkopfes stärker schrumpfte als die des Mädchens. Augenscheinlich trat diese Entwicklung nur im Bereich des Gesichtsinkarnats auf. Maßnahmen würden unumgänglich sein. Ich würde ein Festigungsmittel auftropfen und die Blasen mit dem Heizspachtel niederlegen. Nur das beste Mittel kam in Frage. Russischer Störleim. Eine natürliche Substanz. Sie ist unglaublich teuer. So teuer, daß wir sie nicht im Hause hatten. Ich nahm mir vor, am nächsten Tag in die Stadt zu fahren, um beim Spezialisten russischen Störleim zu kaufen.«
    Es war nicht zu überhören, daß Francesco sich allmählich entspannte. Seine Stimme war ruhiger geworden. Er ließ sich auf größere Pausen ein, um Atem zu schöpfen. Auch hielt er zuweilen während des Redens die Augen geschlossen, wie um in sich hineinzusehen.
    Er schien es aufgegeben zu haben, Reaktionen von seiten seiner beiden Zuhörer zu erwarten. Deren Schweigen und Regungslosigkeit kam ihm inzwischen wie die angemessene Resonanz auf einen Bericht vor, in dem es großenteils um Erlebnisse und Erfahrungen ging, die man teilen kann, auch wenn sie einem nicht in ähnlicher Form widerfahren sind.
    »Ich schlief in der folgenden Nacht etwas besser. Nachdem ich gefrühstückt hatte, stand ich lange am Fenster und beobachtete den Himmel. Es

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