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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boetius
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wollte nicht heller werden. Unter der dunkelgrauen Wolkendecke wirkte alles farbloser, als es einem Spätsommertag eigentlich zukommt. Ich öffnete einen der Fensterflügel und streckte den Arm hinaus. Es war, als hielte ich ihn in lauwarmes Wasser. Plötzlich ergriff mich eine Traurigkeit, die ihre Tiefe offenbar aus ihrer Grundlosigkeit bezog.
    Ich rief im Museum an und teilte der Zentrale mit, daß ich einige dienstliche Einkäufe tätigen müsse und deshalb erst später käme. Dann legte ich eine Platte mit Schubertliedern auf. Draußen schien alles auf den Ausbruch des Unwetters zu warten. Die Regungslosigkeit der Blätter an den Bäumen erinnerte an das Verhalten von Tieren, die sich totstellen, um einer drohenden Gefahr zu entgehen. Alles sprach dafür, im Zimmer zu bleiben und die Entwicklung des Wetters abzuwarten. Ich drehte die Platte um. ‘Tränen fließen gar so süß, erleichtern mir das Herz...’ Es war meine Lieblingsstelle. Vielleicht gab sie den Ausschlag, daß ich mich plötzlich feige fühlte. Ich ging hinunter und fuhr mit dem Fahrrad in Richtung Innenstadt.
    Störleim ist schwer zu bekommen. Er wird nur in Rußland hergestellt und nicht exportiert. Hin und wieder kommen Tauschgeschäfte mit russischen Restauratoren vor, die ihrerseits Schwierigkeiten haben, bestimmte Lösungsmittel zu bekommen. In der Innenstadt gibt es einen kleinen Laden für Künstlerbedarf, dessen Inhaber ein Besessener ist. Er hat extreme Artikel wie die seltensten handgeriebenen Pigmente. Er war meine ganze Hoffnung.
    Der Regen kam so plötzlich, daß ich mitten auf der Straße absteigen mußte, weil ich nichts mehr sah. Es war, als wäre über mir ein prall gefüllter Wassersack geplatzt. Ich schob mein Rad in den Schutz einer roten Steinwand und kettete es an. Rauchschwaden feinster Tropfen nahmen mir die Sicht. Ich war bereits völlig durchnäßt. Dennoch hatte ich das Verlangen, irgendwo Schutz zu suchen.
    Direkt neben mir befand sich eine schwere, eisenbeschlagene Tür. Als ich sie nicht ohne Mühe öffnete und hindurchschlüpfte, war es, als kröche ich durch ein Loch der Zeit in eine andere Dimension des Lebens.
    Ich war im Dom gelandet, und wie immer an solchen Orten beschlich mich ein verwirrendes Gefühl aus Neugier und Verlegenheit. Zugleich verspürte ich deutlich, was mir schon früher bei Besuchen in gotischen Kathedralen aufgefallen war: Ihr Inneres scheint größer zu sein als der äußere Baukörper. Ich glaubte die Säulen und Strebepfeiler seufzen zu hören unter der Spannung, mit der sie sich gegen die Umschließung der Fassade und des Daches stemmten.
    Wenige Menschen verteilten sich in den Holzbänken des Gestühls, den Apsiden und Sakristeien. Die meisten wirkten leblos wie Statuen. Einzelne, die sich vorsichtig bewegten, erzeugten hallende Schritte, die zur kleinen Gestalt der Person in fast lächerlichem Widerspruch standen. Es roch nach Weihrauch, dem brenzligen Duft niederbrennender Kerzen. Andere Gerüche waren schwerer zu identifizieren. Das Salmiak im Putzmittel, mit dem die Silber- und Messingleuchter glänzend gehalten wurden. Staub und Gesangbücher, auch der Schweiß von namenlosen Schuldgefühlen. Es war unmöglich, sich den strömenden Regen draußen vorzustellen. Hier hatte man es mit einer Form von Ewigkeit zu tun, die man am Fehlen von Wetter und Jahreszeiten erkennt.
    Da mich fror, bewegte ich mich unbewußt in eine Richtung, aus der am meisten Wärme zu kommen schien. Es war das Licht, das mich anzog, ein freundlicher Glanz von zahllosen Opferlichtern aus einer der Sakristeien. Sie standen dicht an dicht auf einem Tisch vor einer großen Pietà. Jesus größer als seine Mutter. Marias seelischer und ihres Sohnes körperlicher Schmerz wirkten unglaubhaft. Beide hatten die Mimik schlechter Schauspieler. Sie übertrieben. Die Blutstropfen aus der Seitenwunde flossen nicht abwärts, wie es die Schwerkraft verlangt, sondern sie folgten der Längsachse des Körpers, als würde der Schmerzensmann in Wirklichkeit aufrecht stehen. Es war eine Pietà von zweifelhaftem künstlerischem Wert, doch im Licht der Opferkerzen, die in der aufsteigenden Warmluft flackerten, schien sie fast mehr zu leben als die leibhaftigen Menschen hier.
    Dies galt jedoch nicht für eine Person, die unmittelbar vor dem Altar stand und sich dabei höchst auffällig bewegte. Sie tanzte mit Armen und Oberkörper wie eine balinesische Tempeltänzerin, während sie sich von der Taille abwärts ruhig verhielt. Es war

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