Lauras Bildnis
mir sicher, daß es sich um Pentimente handelte, um Änderungen der Komposition während des Malvorganges.
Pentimentum ist das italienische Wort für Reue. Der Maler bereut sozusagen eine bestimmte Konzeption seines Bildes und macht sie durch Übermalung unkenntlich. In diesem Falle hatte er wohl zuerst vorgehabt, einen Mann zu porträtieren, sich dann jedoch in einem späten Stadium seiner Arbeit entschlossen, jene Gentildonna auf seiner fast anderthalb Quadratmeter großen Tafel aus Pappelholz zu verewigen. Was für ein unglaublicher Gesinnungs- oder Geschlechtswandel! Er hatte es nicht für nötig gehalten, eine neue Grundierung aufzutragen, um so beim Entwerfen vom alten Motiv nicht irritiert zu werden. Er war wahrscheinlich davon ausgegangen, daß das ursprüngliche Gemälde selbst einen hervorragenden Malgrund abgab.
Mich packte plötzlich das Verlangen, das eine männliche Auge unter dem weiblichen freizulegen. Ich tränkte ein Schwämmchen mit einem Lösungsmittel mittlerer Stärke. Es wäre Minutensache gewesen, aber ich brachte es nicht fertig, diese Operation der Gentildonna anzutun. Es wäre ein irreversibler Eingriff gewesen. Ich hätte die oberste Malschicht zerstören müssen, und dies verstieß gegen das eherne Gesetz aller Restauratorentätigkeit: Greife niemals in ein Bild in einer Weise ein, die sich nachträglich nicht mehr aufheben läßt. Restauratorenarbeit muß reversibel sein. Das unterscheidet sie fundamental vom Leben, das bekanntlich voller irreversibler Prozesse steckt.
Als ich mir die Röntgenfotos noch einmal genauer ansah, entdeckte ich ein zweites Pentiment, das ich in meiner ersten Überraschung über den Männerkopf übersehen hatte. Auch das Fenster im Hintergrund war eine Übermalung. Dies galt nicht für den Rahmen. Doch die Landschaft war vom Maler nachträglich verändert worden. Ursprünglich war sie von schroffen Felsen und einem hohen, schneebedeckten Berg beherrscht. Einige laublose Bäume im Vordergrund wirkten wie Hände mit mageren Fingern, die in einen eisigen Wind zu greifen schienen. Ich war verblüfft, mit welch modernen Mitteln der Künstler den Eindruck einer trostlosen Winterlandschaft hervorgerufen hatte. Die Übermalung hingegen strahlte eine warme und sinnliche Lebensfreude aus, die im schärfsten Kontrast zu dem trostlosen Ausblick stand, den das Pentiment gewährte.
Ich ging an diesem Tag erst sehr spät nach Hause, denn ich konnte mich lange nicht vom Anblick der Gentildonna losreißen. Am liebsten hätte ich das Bild heimlich mit auf mein Zimmer genommen. Wäre es kleiner gewesen, hätte ich dies wohl auch riskiert.
Ich schlief sehr schlecht in dieser Nacht. Am nächsten Morgen war ich vor allen meinen Kollegen am Arbeitsplatz. Ich war wild entschlossen, mich vom Zauber dieses Bildes nicht verrückt machen zu lassen. Zwar gehöre ich zu dem allmählich aussterbenden Typus des Restaurators, der nicht umhin kann, die ästhetische Seite seiner Arbeit über die naturwissenschaftliche zu stellen, aber in diesem Falle war ich wohl in der Gefahr, die Grenzen der Sachlichkeit in einem unseriösen Maße zu überschreiten.
Ich begann mit einer detaillierten Untersuchung der Bildoberfläche mittels des Stereomikroskops.
Es gibt kein altes Bild, das nicht von einem mehr oder weniger dichten Netz feiner und feinster Sprünge überzogen ist. Dieses sogenannte Craquelé entsteht durch die Austrocknung der Malschicht, verbunden mit klimatisch bedingten unterschiedlichen Schrumpfungsprozessen der verschiedenen am Bild beteiligten Materialien. Es kommt zu Spannungen zwischen Bildträger, Grundierung und Malschichten, die zu Rissen und Sprüngen führen, die von der Bildoberfläche bis zur Leinwand oder zur Tafel hinabreichen können. Dem Kenner verrät die Struktur eines Craquéles einiges über die Güte der verwendeten Materialien, ja sogar Datierungsfragen lassen sich mitunter durch Craquéleuntersuchung stützen.
Für die frühitalienische Malerei ist zum Beispiel ein Craquelé charakteristisch, dessen Hauptsprünge quer zur Faser des damals als Bildträger verwendeten Pappelholzes verlaufen. Dieses mit bloßem Auge sichtbare Sprungnetz wird zumeist von einem hauchfeinen zweiten Craqueléüberlagert, das nur unter dem Mikroskop erkennbar ist, die Bildwirkung jedoch auch für den normalen Betrachter beeinflußt. Jener feine warme Hautton, der sich auf Bildern alter Meister findet, ist zumindest teilweise diesem unsichtbaren Craquelé zu verdanken. Wie die Poren
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