Lauras Bildnis
ich mich beugte, um die sich lösende Farbe zu fixieren. Ich nahm den billigsten Leim.
In der Mittagspause gehe ich bei schönem Wetter gewöhnlich in den Park, auf den die Fenster meiner Werkstatt blikken. Ich setze mich auf eine der Steinbänke und verzehre mein Brot, lese Zeitung und beobachte die Schüler der angrenzenden Kunstakademie, die auf der Wiese lagern oder unter den mächtigen Kastanien und Rotbuchen flanieren. Diesmal blieb ich jedoch im Haus und trank meinen Kaffee im Ledersessel, in der Nähe der Gentildonna, als sei es ein Akt der Höflichkeit, sie nicht allein zu lassen.
Wie immer kam mir das Bild der Außenwelt hinter den staubigen Scheiben zweidimensional vor. Jetzt, durch das Spiel von Licht und Schatten unter den belaubten Bäumen, war es reiner Impressionismus. Es fehlte nur eine Dame mit Schirm am Arm eines elegant gekleideten Galans, der den Picknickkorb trug.
Ich mußte lächeln, als in diesem Augenblick tatsächlich ein Paar erschien. Es bewegte sich lautlos in einer Diagonale über die Bildfläche. Der Mann war klein. Er trug einen weißen Malerkittel. Sein für den Körper zu großer Kopf drehte sich hin und her. Struppige Haare quollen unter seiner weißen Baskenmütze hervor. Er gestikulierte mit den Händen. Offenbar war er dabei, seiner Begleiterin etwas zu erklären.
Es war eine junge Frau, schlank und hochgewachsen. Sie schritt über den Rasen mit der körperlichen Sicherheit einer professionellen Tänzerin, während er mit seinen kurzen Beinen eher einem Teddy glich, dem ein Kind durch Knicken der Beine das Laufen beizubringen versucht.
Das Auffälligste an ihr waren die langen rotblonden Haare, die sich in Korkenzieherlocken bis zu den Schulterblättern ringelten.
Ich hatte sie sofort wiedererkannt. Nicht nur wegen der grünen Bluse. Es war die Silhouette, der Gang, dieser unnachahmliche Eindruck von Leichtigkeit. Ihn kannte ich auch. Er war Lehrer an der Akademie, einer der erfolgreichsten, auch als freier Maler und Aktionskünstler. Es gab Kollegen, die ihn für einen unbegabten Schwätzer hielten. Einigkeit herrschte jedoch in der Meinung, daß er ein überragender Selbstvermarkter war.
Ich verschüttete Kaffee. Mein Herz klopfte wie rasend, und eine leichte Übelkeit befiel mich. Warum ging sie nur neben diesem Menschen, und warum lachte sie ihn an! Immer wieder berührten sie sich an den Ellbogen, wie mir schien. Dann waren sie aus dem Tryptichon meiner drei Werkstattfenster verschwunden.
Was war nur geschehen? Ich spürte, wie ich beim Versuch nachzudenken kläglich an meiner Erregung scheiterte. In diesem Moment kam Dr. Labisch herein. Er schlingerte auf einen Stuhl zu und setzte sich mit einem langen Seufzer. ‘Wir erschrecken einfach nicht genug’, sagte er nach einer Weile. Ich fand, daß er kränker aussah als gewöhnlich. Das grämlich verzogene Gesicht war bleich und schweißbedeckt.
‘Ich meine, die ersten Renaissancemenschen haben den entscheidenden Schritt gemacht. Aus der Furcht machten sie das Erschrecken. Erschrecken ist weniger dumpf, weniger anonym, weniger heilig als die Furcht. In der Gotik hat man sich gefürchtet. Besser gesagt, man hat in Furcht gelebt. In Furcht vor dem Herrn, dem König, der Pest. Furcht macht allgemein. Furcht verbindet. Jeder ist jeder. Alle leben sie unter der Furcht. Das Erschrecken hingegen isoliert. Das ist der gewaltige Fortschritt. Es ist eine Erfahrung des Selbst. Im Erschrecken spürt man sich. Man zieht sich zusammen. Wird eine kleine harte Kugel, die hierhin und dorthin rollen kann, denn sie ist ein ganz und gar in sich gekrümmtes Ich.’
Dr. Labisch liebte solche Exkurse. Da ich der einzige war, der ihm zuweilen zuhörte, hing er an mir und suchte mich des öfteren auf. Ich bot ihm einen Kaffee an, den er wie gewöhnlich dankend ablehnte. Er trank während der Dienstzeit nur in seinem Zimmer.
Ich lud ihn ein, abends in meine Wohnung zu kommen. Mich würde das angeschnittene Thema brennend interessieren. Er blickte trostlos vor sich hin. ‘Ich komme’, sagte er. ‘Wenn ich dann noch lebe!’ Das sagte er immer, wenn es um irgendwelche Termine ging. ‘Wenn ich dann noch lebe!’ Wir hatten längst aufgehört, über diesen Satz zu lächeln.
Ich war erleichtert, als Dr. Labisch ging. Ich wollte mit dem Schreck, sie erkannt zu haben, allein sein. Diesmal hatte ich ihr Gesicht gesehen. Die Ähnlichkeit mit der Gentildonna war verblüffend. Die gleichen Augen. Das gleiche Oval des Gesichts. Der gleiche
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