Laurins Vermächtnis (German Edition)
Maul nicht aufgebracht und ausgeschaut hast Du wie ein Reifen, bei dem das Gewebe schon durchkommt. Und jetzt stehst Du hier. Du siehst zwar weniger scheiße aus als gestern, aber ich frage mich trotzdem, ob Du am Ostermontag nichts Besseres zu tun hast, als bei mir rumzuhängen.“
„Du kannst mir nicht zufälligerweise einen Ölwechsel machen?“
Manfredo Fratelli lachte, so wie Mafia-Bosse im Kino lachen. „Chiaro! Das heißt, wenn Deine Hightech-Maschine mein Öl verträgt.“
Matthias Jäger setzte sich auf die Werkbank, ließ die Beine baumeln und sah schweigend seinem Kumpel zu, wie der das Öl an der BMW wechselte. Auch der Mechaniker sagte kein Wort. Manfredo war nicht maulfaul. Im Gegenteil: In der entsprechenden Stimmung konnte er endlos über Gott und die Welt reden. Aber wenn er fand, dass es nichts zu sagen gab, dann sagte er auch nichts. Matthias mochte diese Situation. Zwar war er gekommen, um mit seinem Motorradkumpel zu reden, aber sollte er es sich doch noch anders überlegen, würde er einfach wieder fahren, und es wäre auch in Ordnung.
„Finito!“, sagte Manfredo. „So ein feines Öl hat Deine Maschine garantiert noch nie zu saufen bekommen. Und jetzt zu Dir.“
„Zu mir?“ Matthias fühlte sich irgendwie ertappt.
„Ja. Willst Du auch was trinken? Cappuccino? Ich hab‘ eine neue Maschine.“
„Gerne.“
„Komm‘ mit hoch.“
Jetzt erst wurde Matthias Jäger bewusst, dass er noch nie zuvor bei Manfredo zu Hause gewesen war. Sie hatten sich ab und zu im Jägerhof getroffen, manchmal hatte er Manfredo zu einer Fahrt vor dem Haus in der Via Galvani abgeholt, hie und da waren sie in einer Kneipe gewesen. Er wusste zwar, dass sein Kumpel über der Werkstatt wohnte, aber er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wie es da wohl aussehen möge.
Manfredos Wohnung bestand aus nur einem, allerdings riesigen, Raum, einer kleinen Küche und einem fensterlosen Bad. Der Wohnraum, eine Art Loft, hatte hellgrau gestrichene Ziegelwände, einen dunklen Holzboden und drei Fenster – zwei kleinere zum Hof und ein großes nach hinten mit Blick auf eine wild wuchernde Wiese. Auf der einen Seite des großen Fensters stand ein raumhohes, schwarzes Regal, voll mit Büchern. Matthias trat näher. Von irgendeiner Ordnung war nichts zu erkennen; technische Handbücher, Romane, Reiseführer, Philosophen, Bildbände – alles stand durcheinander. Auf der anderen Fensterseite war ein Doppelbett aus dem gleichen schwarzen Holz.
„Alles selber geschreinert“, sagte Manfredo, als er Matthias‘ schweifenden Blick bemerkte.
Die Mitte des Raumes wurde dominiert von dem breitesten und tiefsten Sofa, das Matthias je gesehen hatte, und einem fetten Sessel. Beides war mit einem groben Stoff in Rot-, Orange- und Erdtönen bezogen. Dazwischen stand ein niedriger Tisch, der offenbar aus dem Holz bestand, das nach Bücherregal und Doppelbett übrig geblieben war. „Der ist aber nicht selber geschreinert, was?“, sagte Matthias und zeigte auf den Flachbildfernseher, der kaum kleiner war als die Leinwände der Hinterhofkinos, die er aus seiner Studentenzeit kannte.
Manfredo Fratelli grinste. „Also – Cappuccino?“
„Äh, ja.“
„Setz‘ Dich, Deine Kombi ist sauber genug für mein Sofa. Leg‘ den Kopf zurück, schließ‘ die Augen und hör‘ auf den Sound meiner neuen Maschine: Zweikreissystem, Brühkopf und Siebträger aus verchromtem Messing, 15 bar Maximaldruck.“
„Quasi die Harley unter den Espressomaschinen“, sagte Matthias mit geschlossenen Augen.
„Das kannst Du so sagen“, kam Manfredos Stimme aus der Küche.
Der Cappuccino schmeckte wirklich hervorragend. Matthias trank ihn langsam und hielt die dickwandige Tasse mit beiden Händen. Dann stellte er sie auf dem Sofatisch ab, beugte sich nach vorne, stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel und knetete seine Finger. „Kein Zuhause“, murmelte er.
„Was?“
„Du hast mich doch vorhin in der Werkstatt gefragt, ob ich kein Zuhause hab‘. Das ist wirklich ‚ne gute Frage.“
„Wie meinst Du das?“, fragte Manfredo, der seinen Cappuccino im Sessel getrunken hatte.
„Ich hab‘ Angst, dass mir mein Zuhause gerade verlorengeht. Meine Familie, meine Identität.“
„Was ist denn passiert?“
„Das versuche ich gerade herauszufinden.“
„Jetzt lass‘ Dir halt nicht jedes Wort aus der Nase ziehen. Wenn alles okay wäre, wärst Du nicht hier, sondern bei Greta oder unterwegs auf dem Bock, und wenn Du Probleme hättest,
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