Laurins Vermächtnis (German Edition)
dass auf dieser Fähre etwas Außergewöhnliches zu finden ist.“
„Du verrätst Deinen eigenen Bruder?“
„So könnte man es formulieren, wenn man unbedingt will. Ich würde sagen: Mein Bruder hat uns verraten: seinen Großvater, seine Frau, mich. Irgendwie auch Greta, obwohl ihn das wahrscheinlich am wenigsten interessiert. Glaub’ mir, Paul, das tut mir weh, es wird für immer eine Narbe auf meiner Seele hinterlassen. Aber, überleg’ mal: Welche Möglichkeiten hätte ich gehabt? Ich hätte alles ignorieren und Rainer weiter dreckige Geschäfte machen lassen können. Entweder es wäre irgendwann auch so aufgeflogen und niemand hätte mir geglaubt, dass ich mit alledem nichts zu tun habe. Oder es wäre nie etwas herausgekommen. Dann wären die Kinder, die Greta und ich hoffentlich einmal haben werden, in eine Familie mit einer dunklen Vergangenheit hineingeboren worden, so wie ihre Mutter und, wenn auch nicht ganz so krass, ihr Vater. Ich bin mir sicher, Paul: Wenn Du vor der Wahl stündest, das würdest Du auch nicht wollen. Ich bin wirklich kein religiöser Mensch, aber wenn irgendetwas mieses Karma wäre, dann das. Ich bin nicht froh und stolz, meinen Bruder für seine Scheiße büßen zu lassen. Aber andererseits: Er ist ein Arschloch, und seinetwegen sollen meine Kinder nicht mit einer Hypothek groß werden, so wie es Greta musste.“
Paul wirkte jetzt geradezu unwirklich entspannt.
„Ich verstehe, was Du sagst.“
Paul Moroder machte eine lange Pause und schaute aufs Meer hinaus.
„Warum in aller Welt hat das alles so kommen müssen?“
„Keine Ahnung, bin ich Jesus? Wächst mir Gras in der Tasche? Aber ich kann Dir ein Angebot machen.“
„Ein Angebot?“
„Ja. Ich bin Dir wirklich eine Menge schuldig. Nur deinetwegen bin ich vor vielen Jahren nicht jämmerlich ersoffen. Nur deinetwegen habe ich jetzt die Chance, mit Greta Kinder in die Welt zu setzen und mit ihr alt zu werden. Und deinetwegen ist mein Großvater in Frieden gestorben.“
Paul sah seinen Freund an. Die Situation wurde immer surrealer.
„Hör’ mir jetzt gut zu. Der Hafen von Piran ist nicht so wahnsinnig groß, und Du bist ein guter Schwimmer. Wenn wir anlegen, schau’ Dich gut um. Du wirst ein hellblaues Boot mit Außenbordmotor sehen. Der Tank ist voll. Und das hier – Matthias schob ihm den wasserdichten Rucksack hin – wirst Du brauchen können. Sieh zu, dass Du von diesem Schiff verschwindest, bevor slowenische Polizisten an Bord kommen. Wenn mich einer fragt, werde ich mir beim besten Willen nicht erklären können, wo Du abgeblieben bist.“
Matthias nahm Paul Moroder kurz in den Arm. Dann sagte er: „Leb’ wohl mein Freund“, löste sich und verschwand.
Die Passagiere bemerkten nichts Ungewöhnliches. Nachdem die Fähre in Piran angelegt hatte, gingen sie von Bord. Währenddessen erklärte auf der Brücke ein Uniformierter Kapitän Galanis, dass sein Schiff vorläufig beschlagnahmt sei und jetzt gründlich durchsucht werde. Neben dem Kapitän stand ein Mann mit kurzen, dunkelroten Haaren, der gerade an jedem anderen Ort der Welt lieber gewesen wäre.
Zur gleichen Zeit kletterte ein anderer Mann, etwa zweihundert Meter von der Fähre entfernt, in ein hellblaues Boot, startete den Motor, verließ den Hafen und fuhr aufs offene Meer hinaus. Nach einer halben Stunde, nachdem er das Gefühl hatte, von niemanden verfolgt zu werden, öffnete er den wasserdichten Rucksack, den er dabei hatte.
Darin fand er seinen eigenen Reisepass, zehntausend Euro in kleinen Scheinen, ein violettes Trikot mit der Unterschrift des früheren Fußballers Giancarlo Antognoni und einen Zettel in Maschinenschrift. Darauf stand:
„Wenn Du nach Italien zurückkommst, kann ich nichts mehr für Dich tun. Franka wartet auf Deinen Anruf. “
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Epilog
Zwei Wochen nach der Verhaftung eines griechischen Kapitäns und eines Südtiroler Hoteliers erscheint das französische Nachrichtenmagazin „Le Miroir“ mit der Schlagzeile: „Exklusiv-Interview: Greta Baladier bricht ihr Schweigen!“
Greta Baladier und ein Journalist mit dem ungewöhnlichen Namen „Jacques Brel“ haben das italienische Finanzministerium über einen spektakulären Fund in dem Hotel „Jägerhof“ im südtirolerischen Tiers informiert, außerdem einen deutschen und einen italienischen Historiker. Wegen einer Kommunikationspanne können die Wissenschaftler den Fund einen Tag früher in Augenschein nehmen als die Beamten aus Rom.
Franka und
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