Laurins Vermächtnis (German Edition)
Außerdem fiel ihm ein, wie Greta von „Transparenz“ als dem besten Mittel „gegen Heimlichtuerei und Lügen“ gesprochen hatte. Das leuchtete ihm inzwischen ein, auch wenn er drei Tage dafür gebraucht hatte. Es war ja tatsächlich eine absurde Vorstellung, zu wissen, dass sein Bruder Geschäfte gemacht hatte mit Gold, das die Nazis im Zweiten Weltkrieg zusammengeraubt hatten, und nichts zu unternehmen, nie mehr darüber zu sprechen, mit diesem Bruder weiter gemeinsam das Hotel zu leiten, Weihnachten, Geburtstage und Jahreswechsel zu feiern, sich alles Gute zu wünschen und so weiter. Nein, Goldbarren könnte man versenken, im Lago di Santa Croce oder auf dem tiefsten Grund des Meeres, aber Wissen, das einmal im Kopf war, ließ sich nie mehr ausradieren.
Auf einmal wurde ihm klar wie nie zuvor, welches Loch in Greta sein musste, an der Stelle, wo bei anderen Menschen die Familie sitzt, die sie sich herausgerissen hatte wie einen Tumor. Er war jetzt ihre Familie und er hatte vor, sie nicht zu enttäuschen.
Vom Lago di Santa Croce bis Venedig war es nur noch eine Stunde.
Matthias steuerte den Fährhafen an und stellte sein Motorrad am Hauptterminal Stazione Marittima ab, wo die ganz großen Kreuzfahrtschiffe ankern. Keines von den Dreien an der Hauptanlegestelle war von „Ibal-Ferries“.
Irgendwo musste ein Plan sein, wo die Reedereien und die Zielhäfen verzeichnet waren. Während sich Matthias umschaute, fiel sein Blick auf eine abgestellte „Aprilia Caponord“.
Einen Plan fand er nicht, deshalb fragte er einen Hafenarbeiter, wo denn die Schiffe nach Slowenien abfuhren. Der Mann wies ihm die Richtung zum etwas weiter östlich gelegenen San-Basilio-Kai.
Dort lag tatsächlich eine etwas kleinere Fähre mit einem blauen Schriftzug „Ibal-Ferries“ auf dem weißen Rumpf. Matthias setzte sich auf einen Poller und beobachtete das Schiff. Vielleicht fuhr ja tatsächlich genau dieser Pott unter dem Kommando von Kapitän Galanis. Aber was wenn? Sollte er in die Kapitänskajüte gehen und sagen: „Guten Tag, mein Name ist Jäger – Matthias Jäger. Sie kennen nicht zufälligerweise meinen Bruder Rainer? Vielleicht aufgrund von gemeinsamen Geschäften? Möglicherweise sogar illegalen Geschäften?“ Nein, so recherchieren Detektive in Romanen nicht. Detektive beobachten geduldig weiter und warten, bis irgendetwas passiert, das ihnen einen weiteren Anknüpfungspunkt gibt. Ja, dachte sich, Matthias, so würde er das machen. Und um die Wartezeit ein bisschen angenehmer zu gestalten, würde er sich in der Bar am San-Basilio-Kai einen Caffè und etwas Süßes holen.
Die Bar war gerammelt voll. Vor dem Tresen gab es zwei Reihen. In der einen stand man an der Kasse an, um zu bestellen und zu bezahlen, dort bekam man einen briefmarkengroßen Bon. In der anderen Reihe stand man, um seinen Bon gegen etwas zu essen und zu trinken einzutauschen. Und in der Mitte des Raumes, an den Stehtischen, standen die Leute, die beide Prozeduren schon hinter sich hatten, in Espressotassen rührten und versuchten, sich beim Verzehr ihrer Dolci keine Marmelade aufs Hemd zu kleckern.
Während Matthias schaute, wo das Ende „seiner“ Schlange war, fiel ihm schon wieder etwas ins Auge, das ihm bekannt vorkam, genauer gesagt: jemand.
Eine zierliche Frau mit kurzen, schwarzen, lockigen Haaren in einem tomatenroten Motorraddress.
Elena Galanis.
Matthias schob sich ein wenig ins Gewühl, um zu verhindern, dass er ihr ebenfalls ins Auge fiel. Elena verließ die Bar und bewegte sich auf die Anlagestelle zu. Matthias folgte ihr – unauffällig. Er war zum ersten Mal im Leben in der Situation, etwas „unauffällig“ machen zu sollen. War gar nicht so leicht, wenn man sich mit so was nicht auskannte.
Elena ging gezielt auf die „Ibal-Ferries“-Fähre zu, blieb am Fuß der Gangway stehen und holte ein Handy aus der Brusttasche ihrer Motorradkombi. Sie tippte irgendetwas in das Gerät und blieb dann stehen. Matthias musste sich ziemlich Mühe geben, unerkannt zu bleiben, denn Elena Galanis drehte alle paar Augenblicke den Kopf über die Schulter. Offensichtlich wollte auch sie nicht, von wem auch immer, gesehen werden.
Matthias beobachtete weiter. Minutenlang passierte nichts.
Auf einmal kam ein Mann die Gangway herunter. Eine Kapitänsuniformjacke, die einmal weiß gewesen war, spannte über seinem Bauch, unter einer Schirmmütze wucherten graue Haare. Sein Gesicht war wettergegerbt. Er lachte und ging mit ausgebreiteten Armen auf
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