Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Laurins Vermächtnis (German Edition)

Laurins Vermächtnis (German Edition)

Titel: Laurins Vermächtnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Biegert
Vom Netzwerk:
Apfelschorle für den kleinen Mattes. Karl Jäger liebte die Natur und versuchte, diese Liebe mit seinen Enkeln zu teilen. Bei Matthias fiel dieses Bemühen auf den fruchtbarsten Boden, Rainer dagegen war eher ein Stubenhocker. Karl Jäger hatte, schon in jungen Jahren und als alter Mann erst recht, eine verblüffende Ähnlichkeit mit Luis Trenker. Es schmeichelte ihm, wenn ihn ab und zu Leute darauf ansprachen.
    Matthias ging langsam auf dem steilen und kurvigen Weg und atmete tief, um die ersten Gerüche des Frühlings, der Kiefernnadeln, des Grases in sich aufzunehmen. Er erinnerte sich daran, wie ihm sein Großvater von der Stärke, der Standhaftigkeit und der Anspruchslosigkeit der Waldkiefern erzählt hatte. Was das angehe, ähnele dieser Baum „dem deutschen Soldaten“, sagte der Großvater manchmal. Er musste es wissen, war er doch selber mal ein deutscher Soldat. Karl Jäger war 1918 in Tiers als Österreicher zur Welt gekommen. Nach dem Ersten Weltkrieg machte der Vertrag von Saint-Germain aus dem kleinen Jungen einen Italiener. 1939 zwang das Hitler-Mussolini-Abkommen die Südtiroler, sich zu entscheiden zwischen der italienischen und der deutschen Staatsangehörigkeit. So wurde aus dem jungen Tierser Schreinergesellen ein Deutscher und ein Angehöriger der Wehrmacht. 1948 verwandelte das sogenannte „Optantendekret“ Karl Jäger wieder in einen Italiener. Wie sehr er trotzdem in gewisser Weise ein deutscher Soldat geblieben war, vielleicht bleiben musste, sollte sein Enkel Matthias erst noch erfahren.
    Selbst die größten der Waldkiefern, die rechts und links des Weges standen, waren in der Regel kaum älter als 100 Jahre; in diesem Alter etwa werden die Bäume gefällt und zu Möbeln oder Fußböden verarbeitet. Matthias hatte aber während der Wanderungen mit seinem Großvater gelernt, dass Waldkiefern, wenn sie nicht der Axt zum Opfer fallen, 600 Jahre alt werden können. Als sie einmal ein offenbar uraltes Exemplar stehen sahen, sagte Karl Jäger zu seinem Enkel: „Schau, dieser Baum stand schon hier, lange bevor es uns gab und wenn wir tot sein werden, wird dieser Baum noch ewig hier stehen.“
    Als Matthias zehn Jahre alt war, unternahm Karl Jäger mit seinen Enkeln einmal einen Ausflug nach Hessen, in den Odenwald. Dort steht Schloss Auerbach, beziehungsweise das, was von der Burg nach der Erstürmung durch französische Truppen im Jahr 1674 übrig geblieben war. Der elfjährige Rainer interessierte sich brennend für die militärische Geschichte der Festungsanlage. Matthias dagegen war am meisten die „Auerbacher Waldkiefer“ in Erinnerung geblieben. Sie wurzelt, von keinerlei anderen Pflanzen umgeben, hoch oben auf einer Mauer der Schlossruine. Der Baum ist rund 300 Jahre alt, das heißt, bald nach der Zerstörung der Burg durch die Franzosen muss sich ein Kiefernsamen in der brüchigen Mauer eingenistet haben. Der Keim schlug Wurzeln, die sich im Laufe der Jahre immer tiefer in den porösen Sandstein krallten. Was die Kiefer seitdem am Leben erhält, sind Sonne, Luft und das bisschen Regenwasser, das sich ab und zu am Fuße ihres Stammes sammelt, bevor es wieder verdunstet.
    Er war langsam gegangen, und die Luft in knapp 1400 Meter Höhe war allenfalls mild. Trotzdem lief Matthias Jäger der Schweiß in Strömen über das Gesicht, als er den Wald verließ und zu der Lichtung kam, auf der die Schlernbachalm lag. Von hier aus konnte man weit ins Tal, bis nach Bozen, schauen, auf der anderen Seite bot sich ein beeindruckender Blick auf die Hammerwand. Matthias hatte die Hütte schon immer gemocht. Seit sein Schulfreund Paul Moroder das Haus vor zehn Jahren übernommen hatte, war es ihm beinahe ein zweites Zuhause geworden. Inzwischen konnte man die Schlernbachalm kaum noch als „Hütte“ bezeichnen. Das Haus war so gemütlich wie eh und je, die Atmosphäre war bodenständig und familiär, was zum großen Teil daran lag, dass hier nur Wanderer einkehrten; eine Zufahrt für Autos gab es nicht. Und doch hatte sich viel verändert. Paul Moroder hatte eine Menge Geld in das Haus gesteckt, die Zimmer, die Gaststube und vor allem die Küche mit großem Aufwand modernisiert. Die Speisekarte hatte im Grunde nichts zu bieten, was es nicht auch überall anderswo in Südtirol gab, aber wenn Pauls Frau Franka Speckknödelsuppe, Gulasch oder Kässpatzen zubereitete, kamen auch Feinschmecker auf ihre Kosten.
    Paul Moroder war gerade damit beschäftigt, rot-weiß karierte Tischdecken mit Klemmen an den

Weitere Kostenlose Bücher