Lausbubengeschichten. Aus meiner Jugendzeit
der Bindinger für ein Kerl ist, daß er mich bei meiner Schwester verschuftet.
Am Nachmittag hat er mich aufgerufen; ich habe aber den Nepos nicht präpariert gehabt und konnte nicht übersetzen.
»Warum bist du schon wieder unvorbereitet, Bursche?« fragte er.
Ich wußte zuerst keine Ausrede und sagte:
»Entschuldigen, Herr Professor, ich habe nicht gekonnt.«
»Was hast du nicht gekonnt?«
»Ich habe keinen Nepos nicht präparieren gekonnt, weil meine Schwester auf dem Ball war.«
»Das ist doch der Gipfel der Unverfrorenheit, mit einer so törichten Entschuldigung zu kommen,« sagte er, aber ich hatte mich schon auf etwas besonnen und sagte, daß ich so Kopfweh gehabt habe, weil die Näherin so lange nicht gekommen war, und weil ich sie holen mußte und auf der Stiege ausrutschte und mit dem Kopf aufschlug und furchtbare Schmerzen hatte.
Ich dachte mir, wenn er es nicht glaubt, ist es mir auch wurscht, weil er es nicht beweisen kann.
Er schimpfte mich aber nicht und ließ mich gehen.
Einen Tag danach, wie ich aus der Klasse kam, saß die Marie auf dem Kanapee im Wohnzimmer und heulte furchtbar. Und meine Mutter hielt ihr den Kopf und sagte: »Das wird schon, Mariechen. Sei ruhig, Kindchen!«
»Nein, es wird niemals, ganz gewiß nicht, der Lausbub tut es mit Fleiß, daß ich unglücklich werde.«
»Was hat sie denn schon wieder für eine Heulerei?« fragte ich.
Da wurde meine Mutter so zornig, wie ich sie gar nie gesehen habe.
»Du sollst noch fragen!« sagte sie. »Du kannst es nicht vor Gott verantworten, was du deiner Schwester tust, und nicht genug, daß du faul bist, redest du dich auf das arme Mädchen aus und sagst, du wärst über die Stiege gefallen, weil du für sie zur Näherin mußtest. Was soll der gute Professor Bindinger von uns denken?«
»Er wird meinen, daß wir ihn bloß ausnützen! Er wird meinen, daß wir alle lügen, er wird glauben, ich bin auch so!« schrie Marie und drückte wieder ihr nasses Tuch auf die Augen.
Ich ging gleich hinaus, weil ich schon wußte, daß sie noch ärger tut, wenn ich dabei blieb, und ich kriegte das Essen auf mein Zimmer.
Das war an einem Freitag; und am Sonntag kam auf einmal meine Mutter zu mir herein und lachte so freundlich und sagte, ich soll in das Wohnzimmer kommen.
Da stand der Herr Professor Bindinger, und Marie hatte den Kopf bei ihm angelehnt, und er schielte furchtbar. Meine Mutter führte mich bei der Hand und sagte: »Ludwig, unsere Marie wird jetzt deine Frau Professor,« und dann nahm sie ihr Taschentuch heraus und weinte. Und Marie weinte. Der Bindinger ging zu mir und legte seine Hand auf meinen Kopf und sagte: »Wir wollen ein nützliches Glied der Gesellschaft aus ihm machen.«
Die Vermählung
Ich muß noch die Hochzeit von meiner Schwester mit dem Professor Bindinger erzählen. Das war an einem Dienstag, und ich hatte den ganzen Tag frei. Ich kriegte einen neuen Anzug dazu und mußte schon in aller Frühe aufstehen, damit ich rechtzeitig fertig war. Denn es war eine furchtbare Aufregung daheim, und es ging immer Tür auf und Tür zu, und wenn es läutete, schrie meine Mutter: »Was ist denn, Kathi?« Und meine Schwester schrie: »Kathi! Kathi!« und die Kathi schrie: »Gleich! gleich! Ich bin schon da,« und dann machte sie auf, und wenn es ein Mann war, der eine Schachtel brachte oder einen Brief, dann kreischten sie alle und warfen ihre Türen zu, denn sie waren noch nicht ganz angezogen.
Dann kam ein Diener und sagte, der erste Wagen mit den Kindern ist da, und es ging wieder los. Meine Mutter rief: »Bist du fertig, Ludwig?« und Marie schrie: »Aber so mach doch einmal!« Und ich war froh, wie ich drunten war.
Im Wagen saß die Tante Frieda mit ihren zwei Töchtern, der Anna und Elis. Sie hatten weiße Kleider an und Locken gebrannt, wie bei einer Firmung.
Die Tante fragte gleich: »Ist Mariechen recht selig? Das kann man sich denken, so einen hübschen Mann, und hätte kein Mensch gedacht, wo er doch dein Professor war!«
Ich wußte schon, daß die alte Katze immer etwas gegen uns hat und, wo sie kann, meiner Mutter einen Hieb gibt. Aber ich habe sie auch schon oft geärgert, und ich sagte jetzt zu der Anna, daß ihre Sommersprossen immer stärker werden.
Dann waren wir aber an der Kirche und gingen in die Sakristei, und die Tante mußte es hinunterschlucken und freundlich sein, weil sie der Herr Pfarrer anredete.
Jetzt kam ein Wagen, da war Onkel Franz drin mit Tante Gusti und ihrem Sohn Max, den ich
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