Lauschangriff - Im Visier der Feinde
können. Das von den Briten belauschte Telefonat wäre damit vollständig entschlüsselt gewesen.
So aber blieb alles im Ungewissen. Ganz abgesehen davon, dass er noch immer nicht den Aufenthaltsort der Typen kannte, die er auslöschen sollte. Die Typen in der Mountainside Farm konnten genauso gut Bankräuber sein. Die Canaan Academy war potenziell ein Ziel für einen Terroranschlag, aber ohne handfeste Beweise war alles nur Spekulation. Diese handfesten Beweise allerdings würde er von der gestrengen Ms. Marie Calvert nicht bekommen.
Vom Flur waren Schritte zu hören, kurz darauf trat ein großer, dunkelhaariger Mann um die fünfzig ins Büro. Er wandte sich sofort an Mack, wahrscheinlich in der Annahme, jemanden vor sich zu haben, der bereit war, 30
000 Dollar pro Jahr für die Ausbildung seiner Sprösslinge lockerzumachen. Laut der Rezeptionistin im Hotel wimmelte es an diesem Internat nur so von Schülern, deren Eltern in der einen oder anderen Form an der Wall Street tätig waren.
»Hallo, ich bin Mark Jenson«, stellte er sich vor. »Konnte Marie Ihnen weiterhelfen?«
Mack streckte ihm die Hand entgegen. »Charles O’Brien«, sagte er. »Bitte entschuldigen Sie die Störung. Sie haben sicherlich viel zu tun, aber ich bin auf der Suche nach meinem Cousin, Frank Brooks, ich dachte, er wäre hier beschäftigt. Als Mathelehrer.«
»Nein«, sagte Jenson. »Irgendwelche anderen Anhaltspunkte?«
»Na ja, ich habe es bereits Ms. Calvert erzählt, Frank hat mal einen Direktor namens Abraham erwähnt.«
»Abraham … hmmm, das ist hier bei uns natürlich ein sehr bedeutsamer Name. Aber einen Direktor namens Abraham kenne ich nicht.«
»Inwiefern ist dieser Name bedeutsam für Sie?«
»Neben den üblichen jüdischen Feiertagen wie Jom Kippur oder Rosch ha-Schana begeht diese Academy jedes Jahr ein weiteres großes Fest. An diesem Tag öffnen wir die Schule für die Eltern und Verwandten, es gibt Musik- und Theateraufführungen. Nächsten Freitag ist es wieder so weit. Wir haben diesen Tag zu Ehren unseres geistigen Ahnherrn den Tag Abrahams genannt.«
K APITEL Z EHN
Mack musste sich sehr anstrengen, um sich nichts anmerken zu lassen, während er Mark Jenson die Hand schüttelte, höflich Marie Calvert zunickte, beiden dankte und ganz ruhig zur Eingangshalle zurückschlenderte.
Am liebsten wäre er durch den Gang gestürmt, direkt durch die massive Eingangstür gebrochen wie eine Comicfigur, die nur ihren aus dem Holz herausgesplitterten Umriss zurückließ, über den Blackberry River gesprungen und hätte Ibrahim und seine Bettlakenträger auf der Stelle erwürgt, bevor sie irgendeinen Schaden anrichten konnten.
Ganz ruhig, Mack. Das alles wollte gut überlegt sein, denn der Erfolg der Mission hing von ihrer Geheimhaltung ab. Das hatte er stets im Kopf. Er konnte nicht einfach Mark Jenson anrufen und ihm raten, die Sicherheitsmaßnahmen für den Tag Abrahams zu verdoppeln und zu verdreifachen. Genauso wenig konnte er die Polizei einschalten. Das würde nur zu Fragen, Ermittlungen, Berichten und möglicherweise letztlich sogar zur Freilassung von Ibrahim und den anderen führen, da sie sich bislang ja nichts hatten zuschulden kommen lassen.
Mack war auf sich allein gestellt – zu diesem Schluss kam er, als er über den weiten Hof der Canaan Academy ging. Er war immer schon der »Schattenkrieger« gewesen, würde es auch immer bleiben und immer im Verborgenen arbeiten. Die Einzigen, von denen er sich Unterstützung erhoffen konnte, waren ebenfalls solche Schattengestalten – Johnny Strauss und Benny Shalit.
Mack wusste, dass er das Ziel des Terroranschlags gefunden hatte: die Canaan Academy. Zeitpunkt: der Tag Abrahams. Er hatte die Berichte der Geheimdienste gelesen, und mit einem Schaudern wurde ihm nun eines bewusst: Der El-Kaida-Angriff auf die russische Schule im Jahr 2004 war vom gleichen Feind verübt worden, dem er sich auch jetzt gegenübersah, und dieser Feind betrachtete das Massaker dort als großen Triumph.
El Kaida hatte sich damals für ihren mörderischen Anschlag nicht einen x-beliebigen Tag im Schuljahr ausgesucht, sondern einen ganz besonderen: den ersten Schultag am 1. September, den traditionellen Tag des Wissens. Den wichtigsten Tag im russischen Schuljahr, an dem Eltern und Verwandte zu den Feierlichkeiten eingeladen waren.
Ähnlich jetzt an der Canaan Academy, die am »Tag Abrahams« ebenfalls solche Feierlichkeiten beging. Nur acht Tage waren es noch bis dahin. Er wusste,
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