Lauschangriff - Im Visier der Feinde
richtiger Altweibersommer, sodass die Reederei beschlossen hatte, den Fährbetrieb mit der exklusiven Fähre The Cat bis Ende Oktober aufrechtzuerhalten. Damit rettete sie Ibrahim und Yousaf, die sonst in Nordamerika festgesessen hätten, das Leben.
Die Fähre lief allerdings erst am Morgen aus, und sie hatten keinen Schlafplatz. Altweibersommer hin oder her, nachts war es an der Küste trotzdem verdammt kalt. Zumindest schneite oder stürmte es nicht, worüber sich die beiden Terroristen, die nichts Wärmeres als eine Lederjacke am Leib trugen, aufrichtig freuen durften.
Sie gingen die Main Street hinunter und erreichten den Hafen, wo sie bald das Fährterminal fanden. Die beste Schlafgelegenheit, soweit Ibrahim zu sagen vermochte, bot wahrscheinlich ein vertäutes Boot – falls sie sich Zugang zu einem verschaffen konnten.
Alles, was sie fanden, war das zwölf Meter lange Boot eines Hummerfischers, das vor einer kleinen Werft aufgebockt war. Es musste reichen – falls sich die Kabinentür öffnen ließ.
Außerdem mussten sie vor sieben Uhr wahrscheinlich wieder fort sein, weil damit zu rechnen war, dass die Jungs auf der Werft früh mit der Arbeit anfingen. Ein schwacher, aber sehr kalter Wind blies von Osten her, und Ibrahim beschloss, es zu probieren. Er stieg auf das Fischerboot.
Das Glück war nach wie vor auf ihrer Seite. Die Kabinentür war nicht abgesperrt, drinnen war es überraschend warm, jedenfalls wärmer als draußen in der Kälte auf der Pier. Die beiden Männer aus dem Nahen Osten ließen sich auf den beiden bequemen Sitzen nieder und schliefen sofort ein.
Mack Bedford schlief zu dieser Zeit ebenfalls in einem Sessel an der Küste von Maine. Er war am Nachmittag in sein 140 Kilometer weiter südlich gelegenes Haus zurückgekehrt und am offenen Kamin vor dem Fernseher, in dem ein Red-Sox-Spiel lief, in seinem Sessel eingeschlafen. Vor dem Abendessen hatte er mit Tommy fast eine Stunde lang Baseball gespielt und war ebenso müde wie Ibrahim und Yousaf. Aber Mack hatte es wärmer als die beiden Terroristen. Wesentlich wärmer.
Anne war ins Bett gegangen und hatte ihren Mann leise schnarchend im Wohnzimmer zurückgelassen. Im Moment war er mit sich zufrieden, es gab für ihn nichts zu tun, außer zu warten, dass die beiden Killer aus dem Hindukusch einen weiteren Fehler machten.
Ibrahim und Yousaf wachten am darauffolgenden Morgen vor sieben Uhr auf, zehn Minuten später gingen sie in einem nahe gelegenen Imbiss frühstücken. Danach erstand Ibrahim unter Vorlage ihrer beiden Pässe und Studentenvisa die Fährtickets. Keiner wollte Yousaf sehen, keiner bemerkte, dass die Pässe das Werk geschickter Fälscher waren.
Inmitten einer großen Menschenmenge gingen sie an Bord der riesigen dunkelblauen CAT und nahmen ihre Plätze auf demSchiff ein, das im Hochsommer 775 Passagiere und 250 PKWs aufnehmen konnte. An diesem Tag war es bei Weitem nicht ausgelastet, trotzdem fanden sich genügend Menschen an Bord, zwischen denen Ibrahim und Yousaf problemlos untertauchen konnten.
Für den Fall, dass die beiden Insassen des Dodge auftauchen sollten, war die örtliche Polizei gebeten worden, das Fährterminal tagsüber zu kontrollieren. Da es sich allerdings noch immer nicht um eine Fahndung nach Mördern handelte, schickte die Bundespolizei nur einen Beamten, der eine Viertelstunde vor der 9-Uhr-Abfahrt das Terminal in Augenschein nahm. Ibrahim und Yousaf hatten bereits mit der 8-Uhr-Fähre abgelegt.
Sie waren getrennt an Bord gegangen und versuchten sich auf der Überfahrt nach Nova Scotia nicht durch die Schlagzeilen der örtlichen Zeitungen aus der Ruhe bringen zu lassen, die folgendermaßen lauteten:
Terroristen-Großfahndung in Neuengland
Oder, auf einer Innenseite:
Detonation auf Schulgelände
Polizei in Connecticut vor einem Rätsel
Und dann: Bankdirektor aus Bangor vermisst , worauf drei Absätze über den vermissten Mr. Ridley folgten.
Im Golf von Maine herrschte unruhiger, aber keineswegs rauer Seegang; die Fähre pflügte durch die lange Dünung in der weiten, 200 Kilometer langen Bay of Fundi, die Nova Scotia von New Brunswick trennt.
Yarmouth, ihr Endziel im Südwesten der Halbinsel, ist eines der Hauptzentren der Tourismusindustrie. Aber auch Schiffe unter ausländischer Flagge werden oft zur Wartung und Reparatur hierhergebracht, da in den rauen Gewässern des Nordatlantiks, außerhalb der sicheren Häfen von Nova Scotia, selbst für hochseegängige Frachtschiffe gefährliche
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