Lauschangriff - Im Visier der Feinde
Guantanamo nicht unbedingt auf seinem Plan stand.
Er tröstete sich mit dem Wissen, dass jedes Jahr Tausenden Mexikanern der Grenzübertritt glückte und sie unerkannt in den USA untertauchen konnten. Den Gedanken, dass ebenso jedes Jahr 660
000 Menschen bei dem Versuch festgenommen und wieder zurückgeschickt wurden, versuchte er zu verdrängen.
Seine neue Reiseroute sah vor, dass er und seine drei Gefolgsleute von Chihuahua einen Bus nach El Bajío nahmen, einer Kleinstadt im Nordwesten und keine acht Kilometer von der Grenze entfernt, mitten in der weiten Chihuahua-Wüste gelegen, wo es weder Wasser noch Hoffnung für jene gab, die aus Erschöpfung dort zusammenbrachen. Dort sollten sie sich mit einem Führer treffen, der sie mit Lebensmittel und Wasser versorgte. Dann stand der acht Kilometer lange Marsch durch die tagsüber unerträglich heiße und nachts ebenso unerträglich kalte Wüste bevor. Ein Wagen kam dafür nicht infrage, dieser konnte vom US-Radar erfasst werden sowie die Aufmerksamkeit der zahlreichen mexikanischen Banden auf sich ziehen, die in der Wüste nach Opfern Ausschau hielten. Ebenfalls wurdeihnen empfohlen, sich Cowboystiefel zu besorgen, weil sie nachts mit Klapperschlangen und anderem Getier rechnen mussten. Die meisten in dieser Gegend hergestellten Cowboystiefel würden vor Schlangenbissen schützen.
Die Grenze selbst konnte nur heimlich überquert werden; es war angeraten, sich beim geringsten Anzeichen eines Störenfrieds auf den Boden zu werfen, unter dem Radar zu bleiben und sich so leise wie möglich zu verhalten.
Trotz ihres Spitznamens »Kojote« genossen die Guides einen sehr guten Ruf, was weniger ihren guten Absichten, sondern der Notwendigkeit geschuldet war. Das Gewerbe, das sich um den Menschenhandel an der Grenze entwickelt hatte, war nämlich so lukrativ, dass aufgrund des Schadens, der damit dem gesamten »Industriezweig« zugefügt würde, es keiner wagen würde, einen Guide zu erschießen oder auszurauben.
Ein skrupelloser Bandit hatte tatsächlich einmal einen Guide erschossen und anschließend dessen zahlende Kundschaft ausgeraubt und umgebracht. Zwei Tage später fand man ihn in einem Hotelzimmer in El Bajío, sein Körper wies zahlreiche Schusswunden auf, in der linken Seite seine Brustkorbs steckte ein Messer.
Ibrahims Kojote, Miguel, würde mit den vier El-Kaida-Männern in El Bajío auf dem Marktplatz Kontakt aufnehmen. Auf seinem Pick-up würde er vier Kalaschnikows mit Magazinen mitbringen, auch wenn Ibrahims El-Kaida-Vorgesetzter inständig hoffte, dass jede Schießerei vermieden werden konnte. Dazu Kampfmesser, wie sie von den Taliban benutzt wurden, und Handys, auf denen bereits alle notwendigen Nummern gespeichert waren. Dazu gab es eine Handgranate, falls es zu wirklich gravierenden Problemen kommen sollte. Auf der US-Seite der Grenze würden sie von den Wagen dreier unterschiedlicher Schläferzellen empfangen werden.
Ibrahim fühlte sich wesentlich besser, als er erfuhr, dass sie bewaffnet sein würden. Alle vier waren gestählte Freiheitskämpfer,Veteranen, die nun schon zu lange keine Waffe mehr in der Hand gehalten hatten. Vor allem Abu Hassan sehnte sich nach der leichten, tödlichen Kalaschnikow, der Waffe, die ihm in den Kriegsgebieten in Bagdad, in der Westbank, in Kabul und in den Bergen so treue Dienste geleistet hatte.
Kurz vor Mittag landeten sie auf dem General-Fierro-Villalobos-Flughafen von Chihuahua und nahmen den Bus in die zwölf Kilometer entfernte Stadt. Auf dem Busbahnhof an der Avenida Aldama stiegen sie um und machten sich auf den Weg ins rund 300 Kilometer entfernte heiße, staubige, von Kakteen umgebene El Bajío, einer wenig beeindruckenden Ansiedlung mit Wellblechhütten und einigen verlassenen Steingebäuden. Es gab einen Laden und eine anscheinend aus Sperrholz zusammengenagelte Bar. Und einen großen Marktplatz, auf dem der Bus hielt.
Ben al-Turabis Meinung nach war es hier am Spätnachmittag heißer als im Busbahnhof an der Avenida Aldama. Damit hatte er recht. Chihuahua liegt auf den hohen Ausläufern der Sierra Madre. Bis El Bajío fällt das Land aber zur Wüste hin ab, sodass von der kühleren Bergluft nichts mehr zu spüren ist. Der staubige Ort kochte im kaum noch spürbaren Nachmittagswind. Die Sonne brannte herab, von den Wellblechdächern stiegen flirrende Hitzeschwaden auf. Ein oder zwei Mexikaner saßen schweigend auf der Veranda vor der zusammengezimmerten Bar. Es war zu heiß zum Reden, zu windstill
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