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Lautlos im Orbit (1988)

Titel: Lautlos im Orbit (1988) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus - Lautlos im Orbit Frühauf
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Relief scheinbar natürlich gewachsener Strukturen gerinnen, zu einem Gebirge, das sich majestätisch über die Hudson Bay zu erheben begann.
    Widerwillig nahm der Mann die Faszination dieses Anblicks zur Kenntnis. Er hatte vier Tage verloren, seiner Unwissenheit geopfert; es war sinnlos, mit dem Schiff nach New York zu fahren, nur weil er angenommen hatte, Schiffstouristen würden weniger aufmerksam kontrolliert als die Reisenden der Jets.
    Auch dort waren die meisten Passagiere Touristen. Prozentual vielleicht noch mehr als an Bord eines Luxusliners, Reisen war eine Art moderner Manie, die Leute wollten sehen, hören, die Welt in sich aufnehmen, sie einatmen, sie wollten fahren, fliegen, spielen, leben, wer wußte denn, wie lange sie noch Gelegenheit dazu hatten, Tempo war gefragt, nicht Beschaulichkeit. Niemand legte mehr Wert darauf, fremde Länder, Städte und Menschen mit dem Genuß am Neuen, erstmals Geschauten zu erfahren, man kannte ja ohnehin alles aus dem Fernsehen. Wichtig war nur, daß man selbst gesehen und vor allem selbst fotografiert und gefilmt hatte, vom Bus oder vom Hubschrauber aus, eingeschlossen in sichere Hüllen, die das Eigene behüteten und das Fremde nicht ganz ausschlossen. Das Gefühl der Geborgenheit war nicht zu unterschätzen, zumal die Tatsache, dort gewesen zu sein, den Wunsch, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, bei weitem überwog.
    Clevere Reisemanager hatten sogar die Berufsgruppe der Demonstratoren erfunden, eine doppeldeutige Bezeichnung für Kaskadeure, die den Touristen Straßenschlachten, Banküberfälle, militante Demonstrationen und ähnliches vorzuführen hatten. In Dublin hatten nach einer solchen Show vierzehn tote Whiskyschmuggler auf dem Platz vor der Oper herumgelegen, obwohl der Whiskyschmuggel seit mehr als hundert Jahren nicht mehr betrieben wurde. Selbstverständlich hatten sich die Toten, nachdem das Surren und Klicken serienweise abgeschossener Kameras verklungen war, wieder erhoben und ihr Honorar in den nächsten Pub getragen.
    Bis nach Londonderry oder gar Calman’s Edge war derartiges nie gedrungen, denn dort hätte die Schlacht ja durchaus echt sein können, wenn sie auch bestimmt nicht zwischen verfeindeten Schmugglern stattgefunden hätte.
    Nein, Tourismus war Massenware geworden und dementsprechend deformiert. Wer in diesen Zeiten ein Schiff benutzte, gab sich notwendigerweise als Außenseiter zu erkennen.
    Das Gebirge vor dem weißlichblauen Himmel begann sich langsam aufzulösen, einzelne Türme hoben sich aus dem schwärzlichen Grau, senkrechte Lichterketten glommen auf und überzogen die herangleitende Wand mit bleicher Fluoreszenz, Leuchtpunkte schwirrten auf geschwungenen Bahnen dahin, tauchten hier auf und verschwanden dort, die Hochbahnen der Stadt, die sich in ekstatischen Kurven um Wohn- und Geschäftstürme schlängelten, die an einer Stelle bis fast auf die Gipfelhöhe des Betongebirges hinaufstürmten und sich an einer anderen in die Schwärze der Gehwege hinabstürzten.
    Davor, fast verloren, die Freiheitsstatue, Gruß, Symbol, Relikt einer großen Zeit, dem Land seit je den Rücken kehrend.
    Die Schiffssirene rief melodisch, er zählte die Sekunden bis zum Echo, aber der Klang kam zerstückelt zurück, so daß man nicht auf die Entfernung schließen konnte.
    »Sehen Sie nur, Sir!« rief ein Sergeant der Armee. Er war braungebrannt von der Sonne Südeuropas – Sizilien vielleicht, Venedig, Korsika, Marseille oder was immer auch diese Touristen besuchen mochten, auf alle Fälle mußte ein Trip ins alte Europa sein, einmal im Leben mindestens, war existenznotwendig, weil er Bildung vermittelte oder bewies, und war es nicht ebenso erhebend wie tragikgeladen, eine Region zu erleben, die ausersehen war, als erste von diesem lausigen Planeten zu verschwinden, als Test für Weiteres gewissermaßen? Und sie war doch so schön, diese Region, so alt und ehrwürdig.
    »Ja, bitte?«
    »Blicken Sie dort hinüber, Sir!«
    Der Sergeant reichte ihm ein Fernglas und deutete mit steifem Arm hinüber zur Hafeneinfahrt, wo das Symbol der Freiheit seine oftmals restaurierte, vergoldete Fackel in den weißlichen Himmel reckte.
    Sekundenlang hatte Philipp Manners zu tun, ehe sich sein Blick an die Statue herangetastet hatte, aus geringer Entfernung betrachtet, sah die Stadt ganz anders aus, die eben noch konturenlosen Gebäudetürme überzogen sich mit einem Gewirr von Arkaden und Kaminen, mit vorspringenden Baikonen und zurückgesetzten Loggien, das

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