Lautlos im Orbit (1988)
Wagen befanden, nachlässig und schmuddlig gekleidete junge Leute mit ungepflegten Bärten und farblosen Pudelmützen, waren ihm alles andere als geheuer. So verließ er den Wagen, und die drei sahen ihm gelangweilt nach, sie bewegten sich dabei nicht, als säßen sie immer in diesem Wagen, Tag und Nacht, Sommer wie Winter.
Er stieg in die Hochbahn um, die ihm, da sie über Tage verkehrte, sicherer schien, und begab sich damit auf eine schwindelerregende Reise, bei der er von der Stadt viel weniger zu sehen bekam, als er gehofft hatte. Der Anblick reduzierte sich auf Riesentürme, die in den steilen Kurven scheinbar ins Schwanken gerieten, auf lange, zuckende Lichtreklamen, die manchmal Farben ausstrahlten, von denen er nicht einmal gewußt hatte, daß es sie gab, und auf Straßenschluchten, in deren unergründlichen Tiefen die Lawinen der Fahrzeuge dahinflossen wie grellbunter Unrat in riesigen Kloaken. An den Wänden der Wolkenkratzer wehten Schwaden mattgrauer Gase empor.
Später sah er dann doch noch etwas von der Stadt. Nicht allzuviel und wohl auch nicht unbedingt Typisches, immerhin aber vermittelte ihm ein Zwischenfall einen Eindruck von der Atmosphäre, die hier herrschte.
Es mochte in der Nähe von Melrose sein, jedenfalls hatte der Zug eben den Central Park hinter sich gebracht, als er plötzlich stark verzögerte. Philipp Manners hatte Mühe, sich auf seinem Sitz zu halten, es gab ein heilloses Durcheinander, da die in den Gängen Stehenden übereinander und auf die Sitzenden fielen. Untermalt wurde das Ganze durch das grelle Pfeifen der Haftbremsen, von denen aus ein Funkenregen vor den Fenstern entlanggeisterte.
Nach dieser Notbremsung fuhr der Zug dann wesentlich langsamer als zuvor, man unterhielt sich über die Gründe des Manövers und war sich einig, daß wohl wieder einer der vielen Anschläge auf den Bahnträger unternommen worden war. Niemand schien wirklich erschrocken zu sein, aber alle waren wütend auf die Verursacher. Im Nachbarabteil gab es lautes Geschrei und ein minutenlanges Handgemenge, einige der Passagiere waren angeblich während der Notbremsung bestohlen worden.
Als der Zug etwa in Höhe der 124. Straße anhielt, stieg man ohne Zeichen von Ungeduld aus. Das Ganze lief ab, als sei es hundertmal geprobt worden. Man verließ den Zug, trat, von schwarzgekleideten Polizisten eingewiesen, in die Kabine eines transportablen Lifts, fuhr aus einer Höhe von mehr als zwanzig Stockwerken hinab und einhundert Meter weiter wieder hinauf und setzte die Fahrt fort.
Von der Straße aus sah Philipp Manners, daß die hoch über den Köpfen der Fußgänger und Autoschlangen angebrachten Tragschienen, unter denen die Züge entlangglitten, an einer Stelle zerfetzt worden waren, als hätte es sich nicht um meterdicke, bewehrte Betonträger, sondern um Streichhölzer gehandelt. Eine heftige Explosion mußte stattgefunden haben, nicht nur der Träger, dessen Eingeweide sich wie froststarre Raupen nach allen Seiten wanden, war zerstört, sondern auch die schwarze Plastfassade des Hauses, an der er vorbeiführte. In dem Loch, in dem man ein Einfamilienhaus hätte unterbringen können, bewegten sich Gestalten in farbigen Overalls, und aus dem Inneren der dunklen Höhle stach der nadelfeine Schneidstrahl eines Plasmabrenners. Die Reparatur war also in vollem Gang, kaum daß die letzten Trümmer zu Boden gefallen waren.
Hatte ihm das rasende Auf und Ab des Zuges bisher lediglich körperliches Unbehagen verursacht, die weitere Fahrt zerrte nun auch an seinen Nerven, und er war froh, als sie endlich in ein stetiges Abwärtsgleiten überging. Der Zug näherte sich Philipp Manners’ vorläufigem Ziel, der President-Gregson-Vorstadt, einem Villenviertel am nördlichen Stadtrand, ungefähr dort gelegen, wo der Hudson River das Territorium der Stadt erreicht.
Er hatte sich bei einer Miß Lauderdale eingemietet, einem ältlichen Fräulein, das sich, infolge ihrer Unleidlichkeit vereinsamt, in einer aus den dreißiger Jahren stammenden Villa langweilte. Das Haus war ein holzverkleideter Flachbau mit spitzen Brettertürmchen an den Dachecken, Geranien und Anemonen vor den Fenstern und Reihen von hochstämmigen Rosen links und rechts des kurzen Gartenweges.
Miß Lauderdales graues Haar war bläulich getönt, sie trug bei Tag und Nacht bunte Plastlockenwickler und lebte in permanenter Sorge, ausgeraubt zu werden. Sie pries Gott und alle Heiligen, daß sie ihr einen so kräftigen jungen Mann als Untermieter
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