Lautlos im Orbit (1988)
Bild wurde dadurch wesentlich uneinheitlicher, aber kaum interessanter.
Dann hatte er endlich das Monument im Blickfeld und sah, was den Sergeanten so fasziniert hatte, daß er sein Glas aus der Hand gegeben hatte: Im Faltenwurf des Rockes dieser noch immer beeindruckenden steinernen Dame, dort etwa, wo sich die Schenkel teilten, kroch eine an Seilen hängende Montagebühne aufwärts, eine Reparaturbrigade trug aus dicken Rohren Konservierungsschaum auf. Der Ort und die Tätigkeit konnten in der Tat zum Lachen reizen.
»Muß sich ’ne Menge gefallen lassen, das alte Mädchen, wie?« sagte der Sergeant neben ihm.
Philipp Manners hob die Schultern und gab das Glas zurück. »Offenbar«, bemerkte er, »hat die Freiheit ihren Preis.«
Der Sergeant stutzte, doch gleich darauf erhellte sich sein Gesicht in einem verständnisinnigen Lächeln. Er nickte. »Stimmt, Sir! Und man soll auch jene nicht verurteilen, die den Mut haben, ein wenig an ihr herumzubasteln.« Dann wandte er sich ab und verschwand im Niedergang. Das bei der Einreise praktizierte Kontrollsystem erwies sich als äußerst geheimnisvoll. Während der Prozedur bekam Philipp Manners keinen einzigen Beamten zu Gesicht. Er stand auf einem Transportband, führte die an den verschiedenen Stationen in Leuchtschrift mehrsprachig aufblinkenden Weisungen peinlich genau aus und bemühte sich, in keiner Weise aufzufallen.
Legen Sie bitte Ihren Paß mit der Bildseite nach unten auf das neben Ihnen mitlaufende Prüfband! Danke!
Spreizen Sie die Beine!
Heben Sie die Arme senkrecht nach oben! Senkrecht bitte! Danke!
Öffnen und schließen Sie jetzt bitte mehrmals die Hände! Danke!
Wenden Sie den Kopf um neunzig Grad nach rechts!
Jetzt nach links, bitte! Danke!
So stand er, auf dem Band dahingleitend, und trieb eine Art stumpfsinniger Gymnastik, anfangs in ständiger Sorge, durch irgendeinen Umstand, den er nicht beeinflussen konnte oder übersehen hatte, Verdacht zu erregen, später dann gedankenleer und ohne eine Miene zu verziehen. Er war überzeugt, daß hier nicht nur sein Äußeres kontrolliert wurde, sondern daß man ihn durchleuchtete, die Tätigkeit seines Gehirns aufzeichnete, ihn auf Krankheiten und körperliche Abweichungen untersuchte. Wenn er dieses Band verließ, würde es nichts mehr geben, was ihnen über seinen momentanen Zustand verborgen geblieben war.
Neben ihm glitt sein Paß auf einem schmalen, in Hüfthöhe verlaufenden Parallelband entlang, passierte Stationen, die wie metallene Kästen aussahen, blieb manchmal ein Stück zurück und eilte dann wieder etwas voraus, doch immer lag die Bildseite nach unten.
Zum Schluß mußte Philipp Manners seine Taschen ausleeren und den Gürtel abbinden, was gar nicht so einfach war, denn er trug einen geflochtenen Riemen aus echtem Leder, der sehr eng in den Schlaufen saß, ein Andenken an das Mädchen Jarina aus Pskow.
Dann teilte sich das Band, er glitt zur Seite, in eine winzige Kabine hinein, an deren Wand in grünen Lettern die Bitte, sich einen Moment zu gedulden, glomm. Obwohl er sich bemühte, an nichts zu denken, verspürte er eine gewisse Sorge, er hatte das Gefühl, ausgesondert worden zu sein.
Doch dann bekam er sein Eigentum durch eine seitlich angebrachte Klappe zurück. Auch hier schien keines Menschen Hand im Spiel gewesen zu sein. Er überprüfte auf Vollständigkeit, selbstverständlich fehlte nichts, alles war da, Paß, Uhr, Wechselgeld, Gürtel und sonstige Kleinigkeiten. Nachdem er alles eingesteckt hatte, schwang vor ihm eine Tür auf, und er stand im Freien, seinen Koffer und die beiden Taschen neben sich auf einem kniehohen Podest. Er atmete auf.
Kaum einhundert Meter rechts von ihm deutete eine zuckende, pfeilförmige Leuchtschrift auf den Eingang zur Sub, und über ihm erhob sich das Gebirge von New York, das jetzt, aus der Nähe gesehen, an einen wimmelnden Termitenhaufen erinnerte.
Fünf oder sechs Stationen fuhr Philipp Manners mit der Sub. Der Zug, außen mit grellfarbigen, irgendwie archaisch anmutenden Bildern versehen, innen schmutzstarrend und voller Unrat, donnerte fast unbesetzt durch finstere Röhren, passierte Stationen, deren matte Beleuchtung fortschreitenden Verfall wohltuend verbarg, schien sich im Hades der Stadt verirrt zu haben und tauchte schließlich doch noch in der Nähe der Hudson Bridge ans Tageslicht, das jedoch Mühe hatte, die schmutz- und farbverkrusteten Scheiben der Fenster zu durchdringen.
Die drei Passagiere, die sich außer ihm im
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