Lautlos wandert der Schatten
Luxus nicht
vermuten läßt. Wir sind die einzigen Gäste, die sich im Wasser tummeln.
Der
Weiterweg nach Castrojeriz, vorbei am verfallenen Antoniuskloster, erscheint
uns nach dieser Erfrischung recht kurz. Der Bürgermeister kommt persönlich in
unser El Meson, um uns zu begrüßen und den Stempel zu geben, der uns für seinen
Bereich als Pilger ausweist und weiterhilft. Sehenswert ist hier die
romanisch-gotische Kollegiatskirche; aber auch sie war verschlossen, so daß wir
auf das tröstliche Bild des Pilgers Jakobus in ihrem Innern verzichten mußten.
Die üppige Gastfreundschaft im mittelalterlichen Meson und die Nacht mit ihrer
völligen Stille entschädigte uns.
Die
Pilger früherer Zeiten, die nur wenige Brocken der fremden Sprachen kannten,
haben oft seltsame Namen mit nach Hause gebracht; so wie sie diese gehört
hatten. Der Servitenmönch Kuenig van Vach, dessen Reisenotizen uns erhalten
sind, nennt Castrojeriz deswegen ganz brav Castell Fritz. Wenn man die
Bezeichnungen alter Berichte laut ausspricht, begreift man schnell, welche Orte
oder Gegebenheiten gemeint sein müssen. Wir beide haben in Frankreich eben französisch,
in Spanien spanisch, das heißt kastilisch, katalonisch und galizisch gelernt,
soviel, daß wir zu Essen und zu Trinken bekamen, ein Nachtlager dazu. Was
braucht ein Pilger mehr?
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Wer gerne gibt,
der fragt nicht lange
M anchmal
fragen wir uns am Morgen, was uns der Tag wohl bringen werde. Am 31. Tag
unserer Pilgerschaft gab es gleich drei Geschenke: Einmal die beeindruckende
Kirche Santa Maria la Blanca in Villalcázar de Sirga. So eine Pracht hatten wir
in dem mehr als bescheidenen Dorf nicht vermutet. Zum anderen die Begegnung mit
Pablo el Mesonero, einem freundlichen Männchen über siebzig, das uns an der
Türe seines Landgasthofes in Pilgertracht begrüßte und uns kostenlos mit Suppe,
Wein, Wasser und Brot bewirtete. Und schließlich das blitzsaubere Refugio, in
das er uns führte. Ausgiebig duschen und die Beine ausstrecken; dann am Abend
noch einmal zu Pablo, um diesmal auf eigene Kosten ein großes spanisches
Abendessen mit fünf Gängen zu verschlingen. Im Pilgerbuch konnten wir
nachlesen, daß im letzten strengen Winter ein Deutscher es hier vier Monate
aushalten mußte, bis er weitergehen konnte. Das Wetter und eine schwere
Erkrankung, vielleicht war es eine Depression gewesen, hatten ihn festgehalten.
Vorher
aber hatten wir alte Bekannte aus dem Reiseführer getroffen, so die berühmte
Brücke von Itéra del Castillo, den eindrucksvollen Rollo von Boadilla, und die
herrliche Martinskirche von Frómista. Diese Kirche aus gelbem Sandstein ist ein
echtes Kleinod, völlig klar und eindeutig im äußeren Aufbau und von vornehmer
Zurückhaltung im Innern. Man hat den Eindruck, das Gotteshaus sei ein Werk der
Mathematik, die sich mit einem Künstler hohen Grades verbunden hat.
Am
frühen Abend kamen wir auf dem Damm des Ucieza zu den bereits beschriebenen
Wundern von Villalcázar. Wir entdeckten dort auch, daß schon die Pilger des
Mittelalters das Dorf und seine Überraschungen besungen hatten:
Romeus
que de Santiago
Ya
forun - lle cantado
Os
miragres que a Virgen
faz
en villa Sirga.
Einst
waren hier die Templer zu Hause und hatten das Heiligtum mit der Weißen Madonna
bewacht: Ein gotisches Meisterwerk ist die Kirche, dessen prächtige,
geschnitzte Altarwand alleine Stunden beansprucht hätte. Auf den Dorfstraßen
schwärmen die Schwalben im Abendlicht und sammeln sich in Massen auf den
Drähten. Ist es wirklich schon so spät im Laufe des Jahres? „An Maria Geburt
ziehen die Schwalben fort!“ Hält uns der Weg schon so lange fest? Ja wirklich:
Es ist Ende August und wir schreiben morgen den 32. Tag in unser Pilgerbuch.
Doch zunächst genießen wir beim Mesanero noch einen Rotwein, und zum Abschluß
des Tages einen Rocho, einen Kräutergeist in heißem Tee: Gut für Nerven und
Nacht. Wir schlafen wie unter dem Mantel des Apostels.
Frühstück
gibt es erst nach zwei Wegstunden in Carrión de los Condes. Es ist die größte
Ortschaft der Tierra de Campos. Geheimnisvolle, noch unerklärte Figuren zieren
das romanische Portal der Kirche Santa Maria. Der Legende nach stellen sie
hundert Mädchen dar, die jährlich als Tribut an die Mauren geleistet werden
mußten, damals vor der Schlacht von Clavijo. Durch das Auftauchen zweier Stiere
sei die letzte Gruppe gerettet worden. Es ist völlig unklar, was hinter dieser
Legende steckt. Denn alle
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