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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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beschlossen, den erst halbfertigen Neubau des Wallraf-Richartz-Museums hinter bunter Folie zu verstecken. Fünfundfünfzig Menschen starben in einem Personenzug, als die Nato eine Eisenbahnbrücke im Südosten Serbiens bombardierte, die Straße zwischen Gürzenich und Rathaus erhielt zwecks Verschönerung eine neue Decke, und längst fällige Schlaglöcher wurden geflickt. In Korisha kostete der Bombenhagel knapp einhundert Kosovo-Albanern das Leben, Hunderte Kilometer entfernt wurden die Kölner Straßen per Sandstrahl von einer Viertelmillion festgetretener Kaugummis befreit. Das eine schien mit dem anderen nichts zu tun zu haben, und de facto hätten die beiden Welten, in denen sich die Ereignisse abspielten, nicht weiter auseinander liegen können. In Wirklichkeit bedingten sie einander und schufen eine Atmosphäre der Verunsicherung. Alles hätte so schön sein können. Der Gipfel, das ganze Drumherum. Stattdessen pfiff man im Keller, weil ein Irrer meinte, sich mit der mächtigsten Militärallianz der Welt herumprügeln zu müssen.
    Am Tag dann, als Milošević und das jugoslawische Parlament dem Friedensplan der G-8 zustimmten, schien Europa wie von einem Krampf erlöst. Die Aussicht auf ein Ende des Krieges überstrahlte alles. Köln erhob sich zur Friedensstadt. Zwischen Karnevalsstimmung und Ausnahmezustand blieb kein Platz für Normalität. Straßen, Plätze und Brücken waren ein buntes Fahnenmeer. Heerscharen von Journalisten hetzten von Schauplatz zu Schauplatz, versehen mit städtischen Essensgutscheinen für Gipfelmenüs zum Zwecke wohlwollender Berichterstattung. Tausende von Delegationsmitgliedern erfreuten sich an einem kulturellen Rahmenprogramm mit einer Vielzahl von Ausstellungen, Konzerten, Lesungen und Filmreihen. Fassaden waren geschrubbt, Baustellen verhängt, Graffiti von den Wänden geschliffen, Brunnen gesäubert, Bänke gestrichen, Laternen repariert und Straßenbahnhaltestellen mit neuen Lampen bestückt worden. Kohls volksnaher Gipfel war Realität geworden. Oder, wie der Kabarettist Jürgen Becker bemerkte: Blitzsauber, die Stadt. Sogar die Hundescheiße ist verschwunden. Sechzehn Jahre Kohl waren nicht umsonst.
    Inmitten des Potemkin'schen Charmes ließen nur das Geknatter der Helikopter und Kolonnen von Mannschaftswagen ahnen, was es wirklich hieß, Gipfelstadt zu sein.
    Dann kam die Ermüdung.
    Vielen ging die omnipräsente Polizei inzwischen auf die Nerven. War nicht alles vorbei? Serbien im Aus, Russland im Boot, Gerhard Schröder und Joschka Fischer in Bronze gegossen? Stattdessen schienen immer neue Absperrungen gleichsam aus dem Boden zu wachsen. Massive Kritik wurde laut. Den Gastronomen in der Altstadt hatte man das Geschäft ihres Lebens in Aussicht gestellt. Die Sperrstunde war aufgehoben worden, auf beispiellose Weise reichte die Bürokratie dem Nachtleben die Hand, aber dann fanden die avisierten Gäste vor lauter Gittern und Flatterbändern nicht mehr an die Tresen. Zu allem Überfluss nötigte der Secret Service das BKA, sämtliche Schirme und Blumenkübel, Stühle und Tische aus der Altstadt verschwinden zu lassen. Nach dem Wegfall der Außengastronomie rechneten erboste Wirte in halb leeren Kneipen nach, was es sie kostete, leichtgläubig Zusatzkräfte eingestellt und die Vorräte aufgestockt zu haben. Die einen erwogen Klage gegen die Stadt, andere schickten ihre defizitären Bilanzen kurzerhand an das Auswärtige Amt zur Begleichung. Ähnlich verärgert zeigte sich der Einzelhandel, dessen Erwartungen ebenfalls hinter den Gitterbarrieren zurückblieben. Zwecklos, den Betroffenen zu erklären, man sei selbst von den plötzlichen Forderungen der Amerikaner überrascht gewesen. Spätestens nach dem Außenminister-Gipfel war jede Euphorie verflogen. Während Burgers große Stunde über prominenten Eintragungen ins Goldene Buch nicht enden wollte, zogen die Bürger immer längere Gesichter – vor lauter Security waren beim EU-Empfang vor dem Rathaus eben mal zweihundert Plätze geblieben, um einen Blick auf die weltpolitische Elite zu werfen, und auf die hatte sich die Presse gestürzt.
    Volksnah war vor allem die Polizei. Die Beamten gaben sich jede Mühe, den Unmut der Kölner abzufedern, aber nichts konnte darüber hinwegtäuschen, dass die Sicherheitshysterie einem neuen Gipfel zustrebte.
    Die Leute schüttelten den Kopf. Was war denn nun mit dem Frieden von Köln? Alles war doch in bester Ordnung. Was sollte jetzt noch passieren?
    Kuhn rutschte missmutig auf

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