Lautlos
seinem Hocker hin und her und dachte daran, dass Gorbatschow in Deutschland vor Jahren nur knapp einem Attentat entgangen war. Auch damals hatte alles im Zeichen der Versöhnlichkeit gestanden. Die entspannte Atmosphäre trog. Ab morgen würde Köln noch mehr ins Fadenkreuz des Terrorismus geraten. Jenseits des jovialen Winkens und zufriedenen Wir-haben-es-nochmal-geschafft-Lächelns würde ein von jeglicher Euphorie unbeeindruckter Sicherheitsapparat seine Wachsamkeit erhöhen. Kuhn wusste aus Washington, wie groß die Angst der Amerikaner vor einem Anschlag auf das Leben ihres Präsidenten war und was sie alles in Bewegung setzten, um jeder Eventualität zuvorzukommen. Der Secret Service kannte kein Vertrauen. Der bevorstehende Supergipfel mochte vielen wie eine große, fröhliche Party vorkommen – er war vor allem der Gipfel der Security. Von Clinton hieß es, er werde mit eintausend Spezialagenten anreisen. Seit Wochen war Köln infiltriert von bewaffneten US-Sicherheitsleuten, vom BKA mit einer Waffentrage-Erlaubnis und Sonderausweisen ausgestattet. Der Apparat um Jelzin stand dem in wenig nach. Schröder, sosehr er sich zum Anfassen präsentierte, war unantastbar. Alle Regierungschefs genossen einen Schutz, der die Gefährdung ihrer Leben faktisch ausschloss. Keine Maus konnte durch diesen Ring aus Sicherheit schlüpfen.
Aber wie schloss man die Anwesenheit eines verdeckten Agenten am KölnBonner Flughafen aus?
Und was hatte seine Anwesenheit zu bedeuten?
Je länger Kuhn auf dem Knorpel der Frage herumkaute, desto mehr verstärkte sich sein grollendes Unbehagen. Sicher, bislang war alles glatt gegangen. Das Schlimmste war durchgestanden, nachdem sich Schröder und Ahtisaari auf dem EU-Gipfel in die Arme gefallen waren. Vor einer Woche hatte das Abkommen von Kumanovo den Krieg offiziell beendet. Im Grunde gab es weniger Anlass zu Befürchtungen als je zuvor. Der Belgrader Betonkopf lag am Boden, oder zumindest tat er so. Alle hatten sich wieder lieb. Jelzin telefonierte mit dem Bundeskanzler und bekräftigte seinen Willen zum Frieden. Der chinesische Ministerpräsident Zhu Rongji betonte Pekings konstruktive Rolle, was immer er damit meinte.
Blieb, die Sieger zu empfangen. Lorbeer den Cäsaren!
Dubios.
Wenn wirklich die Gefahr eines Attentats bestand, warum hatte es nicht vor zwei Wochen stattgefunden, als einhunderttausend Demonstranten in Köln gegen die Wirtschaftspolitik der reichen Nationen auf die Straße gegangen waren, durchmischt von Kriegsgegnern, Autonomen und militanten Krawallmachern, als Russland mit gebrochenem Rückgrat auf den Balkan sah und die Nato stirnrunzelnd ankündigte, der Friedensbotschaft Ahtisaaris so lange Bomben folgen zu lassen, bis eine Einigung über den Abzug der serbischen Truppen vorliege, mit getrockneter Tinte? Warum jetzt?
Weil die wichtigsten Skalps, die man sich holen konnte, damals noch gefehlt hatten?
Dieser Clohessy mit seinem falschen Namen wäre keine Sorge wert gewesen, hätte der Secret Service nicht einen Begriff geprägt, der sich in Kuhns Phantasie an diesem Abend zur Monstrosität auswuchs: das retardierende Moment. Das Nicht-erfolgen der Katastrophe zum Zeitpunkt, da alle ihr Eintreten vermuten. Das Verstreichenlassen des kritischen Augenblicks.
Dann der vernichtende Schlag, wenn niemand mehr damit rechnet!
Welchen Effekt würde ein Anschlag haben, wenn er jetzt erfolgte, auf dem Supergipfel? Im Angesicht der strahlenden Pose? Mit einem Boris Jelzin als Verbündetem und einem Großchina, das, starren Gesichts zwar, aber einlenkend, auf sein Veto verzichtet hatte?
Was, zum Teufel, wollte Paddy Clohessy? Falls er überhaupt etwas zu wollen hatte und nicht nur Handlanger war, wie Liam O'Connor abenteuerlustig vermerkt hatte.
Wer waren die Leute hinter ihm?
Kuhn seufzte. Nein, es war ganz und gar nicht gut, einen solchen Menschen mitten in der Nacht aufzusuchen. Ein Unfug! Eine verdammte Schnapsidee. Er hätte diesen Unsinn vehement verhindern sollen. Warum gingen sie nicht zur Polizei, statt Detektiv zu spielen?
Dann dachte er, vielleicht sind sie ja zur Polizei gegangen. Das Beste wäre es. Aber warum konnte er dann Wagner nicht erreichen? Sie hatte ihr Handy nicht mal ausgeschaltet, es klingelte durch. Natürlich gab es noch die Möglichkeit, dass sie tatsächlich bei diesem Kerl waren und mit ihm redeten. Aber auch das war kein Grund, nicht ranzugehen.
Oder sie konnte nicht mehr rangehen.
Einen Moment lang war er kurz davor, die Polizei zu
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