Lautlos
es stellt mich vor die Frage, ob wir der Welt ein solches Signal senden sollten. Und ob ich es will. Offen gestanden, Sonja Cośic steht gerade mit erhobener Faust auf einem Hügel in der Krajina, und alles in ihr schreit danach, dem Ruf zu folgen. Wir können uns nicht länger zu Randfiguren und Irrtümern der Geschichte degradieren lassen. Die Serben sind immer nur die Opfer gewesen. Jana hingegen weiß, was sie damit lostreten würde, und es ist ihr zumindest nicht völlig egal. Ich mache mir Gedanken um Menschen.«
»Das hat Leila Khaled auch gesagt.«
Jana wusste, worauf er anspielte. Die Palästinenserin Leila Khaled hatte zu den Volksfront-Kommandos gehört, die 1969 ein TWA-Flugzeug und im Jahr darauf einen Passagierjet von El-Al in ihre Gewalt gebracht hatten. Es ging ihnen nicht darum, den Menschen an Bord Schaden zuzufügen, sondern sie als Faustpfand zu benutzen, um Gesinnungsgenossen freizupressen, Publizität zu erlangen und den Blick der Öffentlichkeit auf die landesimmanenten Probleme zu lenken. Leila Khaled empfand sich selbst weder als skrupellos noch grausam, und wahrscheinlich hatte sie mit dieser Selbsteinschätzung sogar Recht. »Sehen Sie«, hatte sie später in einem der zahlreichen Verhöre gesagt, denen man sie unterzog, »ich hatte den Befehl, das Flugzeug zu besetzen, nicht, es in die Luft zu jagen. Ich mache mir Gedanken um Menschen. Hätte ich das Flugzeug hochjagen wollen, so hätte mich niemand daran hindern können.«
Aber die Geschichte Leila Khaleds lag dreißig Jahre zurück. Die Geschichte einer Idealistin, die nie etwas anderes hatte sein wollen – zitiert von einer Idealistin, die etwas anderes geworden war. Ein Professional, eine Auftragskillerin, die sich nicht mehr fragte, ob man für Geld töten durfte, sondern nur noch, wie weit man gehen konnte. Längst hatte sich ein Abgrund zwischen Jana und Leila Khaled aufgetan. Gerade darum traf Ricardos Bemerkung über das denkwürdige Statement der Palästinenserin Jana im Innersten. In den letzten Jahren hatte sie gut damit – und vor allem gut davon – leben können, Aufträge einfach zu erledigen. Eine andere Sache war der gerechte Kampf, den sie verloren geglaubt hatte und auf dessen Wiederaufnahme sie wartete. Beides voneinander zu trennen, hatte Jana keine sonderliche Mühe bereitet – bis zu dem Tag, als Mirko an sie herangetreten war und die alten Fragen neu aufgeworfen hatte.
Plötzlich schien über dem Abgrund eine Brücke zu schweben. Eine Einladung, die Kluft zu überbrücken.
Der Gedanke war verlockend. Es wäre beides zur gleichen Zeit. Die sachliche Erledigung einer Anfrage und der Triumph über die Arroganz eines feindlichen Imperialismus, der immer nur verurteilte, ohne sich je die Mühe gemacht zu haben, Sonja Cośics Volk zu verstehen. Und wiederum wäre es das größte je gezahlte Honorar, die Krönung und zugleich das Ende ihres Engagements, der Beginn eines neuen Lebens.
»Was raten Sie mir?«, fragte sie unvermittelt und wandte Ricardo ihr Gesicht zu.
Ricardo lachte leise.
»Sie wollen meinen Rat?«
»Ja.«
»Tun Sie es.«
»Warum?«
»Weil Sie auf die Dauer so nicht weitermachen können. Es wäre der Glanzpunkt und erklärte Gipfel Ihrer Karriere, und jeder weiß, dass der klügste Politiker auf dem Höhepunkt seines Ruhms zurücktritt. Sie wären gezwungen, völlig neu anzufangen, was Ihnen, glaube ich, ganz gut täte. Es würde Sie aus dem Dilemma erlösen, in dem Sie stecken, seit ich Sie kenne. Sie sind nicht wirklich glücklich, Jana. Nehmen Sie an. Tun Sie es. Viele würden Ihnen insgeheim auf die Schulter klopfen. Es gäbe Heulen und Zähneknirschen. Die Probleme Europas würden in den globalen Fokus geraten. Vielleicht würde der eine oder andere Staatenlenker darüber stürzen, aber weder die Vereinten Nationen noch Russland oder China sind an einem Schlagabtausch größeren Ausmaßes interessiert. Das Problem würde gelöst werden. Das Trojanische Pferd hätte den begehrtesten Skalp der Welt eingeholt, ohne dass es jemand wissen muss. Sie und Ihr Land hätten Genugtuung erhalten. Wie Sie persönlich damit umgehen, kann ich nicht beurteilen, aber das ist ja auch nicht meine Sache.«
»Was glauben Sie, woher der Auftrag kommt?«
»Serbien? Russland? Libyen? Mal ehrlich, Jana, spielt es eine Rolle, wer Ihnen die Möglichkeit gibt, ein neues Leben anzufangen?«
Jana starrte vor sich hin.
Plötzlich erschien es ihr, als steuere ihr Denken in eine Sackgasse. Es war, als öffne man in
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