Lautlos
zu nahe. Ich würde mich ungern schmerzhaften Fragen aussetzen, die ich nicht beantworten kann.«
»Machen Sie sich keine Sorgen.«
Jana durchmaß das Büro mit langen Schritten. In Momenten größter Anspannung trieb es sie durch den Raum wie ein Raubtier, das seinen Käfig abschreitet. Sie überlegte. Ricardo hatte gut gearbeitet in Triora. Sie war nun im Besitz einiger Fotografien, die Mirko zeigten, immer allein. Ricardo hatte es vermieden, sie mit aufs Bild gelangen zu lassen. Außerdem wusste sie, dass Mirko von Turin zuerst nach Köln geflogen war, dort übernachtet und am nächsten Morgen eine Maschine nach Wien bestiegen hatte. Ab hier hatte sie die Beschattung ausgesetzt. Sie wollte nicht ernsthaft die vereinbarten Regeln brechen, nur ein bisschen schlauer sein, als man sie ließ.
»Wie ich es sehe, könnte der Auftrag direkt aus der Schaltzentrale der serbischen Regierung kommen«, sagte sie. »Ob Milošević selbst so weit gehen würde, wage ich zu bezweifeln. Aber jemand anderer dort könnte auf die Idee gekommen sein, durchaus. Mirko hat genau das gesagt und anschließend versucht, den Kreis zu erweitern, als er die Russen mit ins Spiel brachte.«
»Das musste er wohl«, meinte Ricardo. »Aber es scheint mir ziemlich konstruiert. Die meisten Moskauer Regierungsbeamten sind mit den größeren kriminellen Vereinigungen des Landes verbunden, und da geht's um Geld. Gut, Russland ist der Kernmarkt für Auftragsmorde, aber politisch halten sie sich eher raus. Die russische Mafia würde zu viel riskieren. Die verdienen an Tschetschenien, damit flicken sie dem Bären das Rückgrat, und alle sind wieder stolz. Alles, was die internationale Stabilität gefährdet, betrachten selbst die Kommunisten mit Skepsis.«
»Kommen Sie. Es ist nicht gerade eine sensationelle Neuigkeit, dass russische Offiziere und Ex-KGB-Agenten versuchen, Atomsprengköpfe zu verscherbeln.«
»Ich weiß, die Ukrainer. Das waren deutsche Geschäftsmänner, die den Deal eingefädelt haben.«
»Die korrupten Militärs verkaufen weltweit an den Meistbietenden. Und das sind Russen. Ich meine, wer dem Iran die Lieferung spaltbaren Materials zusagt, wird auch vor Königsmord nicht zurückschrecken.«
»Die Frage wäre immer, wer damit was erreicht.«
»Der Westen würde in seine Schranken verwiesen«, sagte Jana mit einer Heftigkeit, die sie selbst überraschte. »Er hätte endlich mal wieder mit sich selbst zu tun.«
Ricardo schwieg eine Weile.
»Bewundern Sie Milošević immer noch?«, fragte er schließlich.
Jana hielt inne. Ihr Blick suchte in dem komfortablen Wohnzimmer mit den teuren italienischen Möbeln nach einem Halt. Dann trat sie zum Fenster und sah hinaus auf die Hügel der Langhe.
»Es ist ein Job«, sagte sie.
Ricardo räusperte sich. Er stand auf und gesellte sich neben sie.
»Ich weiß, dass es ein Job ist. Sehen Sie, ich bin Ihr Finanzbuchhalter. Meine Aufgabe besteht darin, die Aktivitäten Lauras und Janas unter einen Hut zu bringen und beide Geschäftsfrauen gewinnbringend zu beraten. Wenn ich das Terrain wechsle, um Ihre Motive zu hinterfragen, tue ich uns damit betriebswirtschaftlich gesehen keinen Gefallen.« Er machte eine Pause. »Aber wir sind uns näher gekommen. Ich weiß nicht, irgendwie fühle ich mich verpflichtet, Sie zu warnen. Für Jana ist es ein Job. Ich würde nicht eine Sekunde in Erwägung ziehen, den Auftrag abzulehnen. Wir haben uns nie für die Ideologien unserer Auftraggeber interessiert. Aber für Sonja könnte das Ganze zu einem persönlichen Feldzug werden. Sie könnten Fehler machen. Wenn Ihre Objektivität getrübt ist, werden Sie den Ausgang der Aktion gefährden, ob Sie wollen oder nicht. Und es ist immer noch ein Unterschied, ob Sie sich benutzen lassen oder benutzt werden. Auch darüber würde ich einen Moment meditieren, bevor ich die endgültige Entscheidung treffe.«
Jana dachte darüber nach.
»Milošević zu vertrauen, war ein Fehler«, sagte sie. »Er richtet das Land zugrunde. Aber in den Grundsätzen hat er trotzdem Recht.« Sie seufzte, wandte sich ab und spürte Ratlosigkeit in sich aufsteigen. »Wir hatten bis heute nie die Situation, dass die Auswirkungen meiner Arbeit wirklich etwas … verändert hätten. Nicht wahr?«
»Nein. Eigentlich nicht.«
»Plötzlich vermischt sich wieder alles. Sie haben Recht, Silvio. Die Sache würde persönlich werden. Ich weiß, deshalb haben sie mich ausgesucht. Das ist es, was mir Mirko sagen wollte. Es ist nicht einfach ein Job,
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