Lautloses Duell
Andererseits war er eigens hierher gekommen und saß jetzt mit dem Hut in der Hand vor diesem Häftling, eben weil Gillette ein
Wizard,
ein Zauberer, war, wie in Hackerkreisen diejenigen bezeichnet wurden, die in der Maschinenwelt die höchsten Weihen erlangt hatten.
Es klopfte, und der Aufseher ließ zwei weitere Männer ein. Der Erste, um die vierzig, hatte ein schmales Gesicht, dunkelblondes, zurückgekämmtes und mit Spray betoniertes Haar, dazu waschechte Breitbandkoteletten. Er trug einen billigen grauen Anzug, aus dessen Hosenbund ein viel zu großes, ziemlich ausgewaschenes weißes Hemd viel zu weit heraushing. Der Mann warf Gillette einen desinteressierten Blick zu. »Sir«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme zum Direktor, »ich bin Detective Frank Bishop von der State Police. Mordkommission.« Dann nickte er Anderson einen flauen Gruß zu und verfiel in Schweigen.
Der zweite Mann war etwas jünger und wesentlich dicker als sein Kollege. Er schüttelte zuerst dem Direktor und danach Anderson die Hand. »Detective Bob Shelton.« Sein Gesicht war von Narben gezeichnet, den Spuren schlimmer Windpocken oder einer schlecht verheilten Pubertätsakne.
Anderson kannte Shelton nicht, aber von Bishop hatte er schon gehört und sah dessen Beteiligung an dem Fall, wegen dem Anderson hierher gekommen war, mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Angeblich war der Polizist selbst so eine Art Wizard, aber sein Spezialgebiet war die Verfolgung und Festnahme von Mördern und Vergewaltigern in den rauen innerstädtischen Bezirken wie dem Hafenviertel von Oakland oder in Haight-Ashbury und dem verrufenen Tenderloin in San Francisco. Die Abteilung für Computerkriminalität war nicht berechtigt – und auch nicht dafür ausgerüstet –, einen Mord wie diesen ohne Unterstützung von der Abteilung für Gewaltverbrechen zu bearbeiten, doch nach mehreren kurzen telefonischen Auseinandersetzungen mit Bishop zeigte sich Anderson nicht unbedingt beeindruckt. Der Kollege vom Morddezernat kam ihm humorlos und desinteressiert vor. Hinzu kam, dass er keinen blassen Schimmer von Computern hatte, und das bereitete Anderson weitaus mehr Sorgen.
Obendrein hatte Anderson gehört, dass Bishop selbst keinen gesteigerten Wert darauf legte, mit den Computerleuten zusammenzuarbeiten. Stattdessen hatte er sich für den MARINKILL-Fall stark gemacht, den das FBI so nach dem Tatort benannt hatte: Drei Bankräuber hatten in einer Filiale der Bank of America in Sausalito, Marin County, zwei Unbeteiligte und einen Polizisten ermordet und waren nach der Tat angeblich in Richtung Osten geflohen, was bedeutete, sie könnten sich sehr gut nach Süden wenden und damit in Bishops gegenwärtigen Jagdgründen aufkreuzen, der Gegend um San Jose.
Prompt schaute Bishop als Erstes auf das Display seines Handys, wahrscheinlich um zu sehen, ob er angepiepst worden war oder einen Anruf erhalten hatte, der ihn zu seinem wichtigen Fall zurückbeorderte.
»Setzen Sie sich doch, meine Herren«, sagte Anderson und nickte in Richtung der Bänke, die am Tisch standen.
Bishop schüttelte den Kopf und blieb stehen, stopfte sich das Hemd in die Hose und verschränkte die Arme. Shelton setzte sich neben Gillette, um schon kurz darauf den Häftling angewidert anzusehen, seinen Platz wieder zu verlassen und sich auf der anderen Seite des Tisches niederzulassen, von wo aus er Gillette zumurmelte: »Sie könnten sich mal wieder waschen.«
»Sie könnten den Direktor mal fragen, warum ich nur einmal in der Woche duschen darf«, konterte der Gefangene.
»Weil Sie etwas getan haben, was Sie nicht hätten tun sollen, Wyatt«, sagte der Direktor geduldig. »Und genau aus diesem Grund sind Sie zurzeit in Staatspension.«
Anderson hatte weder die Zeit noch die Geduld für Zänkereien und wandte sich an Gillette: »Wir haben ein Problem und hoffen, dass Sie uns dabei helfen.« Sein Blick wechselte zu Bishop: »Wollen Sie es kurz erklären?«
Nach dem Protokoll der State Police hatte genau genommen Frank Bishop das Sagen. Doch der schlanke Detective schüttelte den Kopf. »Nein, Sir, machen Sie ruhig weiter.« Wobei das »Sir«, wie Anderson fand, nicht sonderlich respektvoll klang.
»Gestern Abend wurde in Cupertino eine Frau aus einem Restaurant entführt. Sie wurde ermordet, ihre Leiche in Portala Valley aufgefunden. Jemand hat sie erstochen. Sie wurde weder sexuell missbraucht noch drängt sich ein anderes Motiv auf.
Allerdings genoss Lara Gibson, unser Opfer, eine gewisse
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