Lautloses Duell
Sonnenbrille. Ja, sie wusste natürlich, dass sie sich hier im Silicon Valley befand, der Brutstätte der Slacker und Hacker, und es war durchaus nicht ungewöhnlich, dass man bei Starbucks seinen Vente Skim Latte von einem höflichen Teenager mit Dutzenden von Piercings, kahl geschorenem Schädel und Klamotten wie von einem Großstadt-Gangster serviert bekam. Trotzdem war sie den Eindruck nicht losgeworden, dass sie der Fahrer mit einer unheimlichen Feindseligkeit anstarrte.
Erst jetzt merkte sie, dass sie geistesabwesend mit der Dose Pfefferspray in ihrer Handtasche spielte.
Noch ein kurzer Blick aus dem Fenster. Ausnahmslos teure Wagen, bezahlt mit Dotcom-Geld.
Sie schaute sich im Restaurant um. Alles harmlose Typen,
Geeks.
Immer mit der Ruhe, ermahnte sie sich und nahm noch einen kleinen Schluck von dem kräftigen Martini.
Dann ein Blick auf die Wanduhr. Viertel nach sieben. Sandy war fünfzehn Minuten zu spät. Sah ihr gar nicht ähnlich. Lara zückte ihr Handy, doch auf der Anzeige stand: »Kein Netz.«
Gerade als sie sich nach dem Münzapparat erkundigen wollte, sah sie den jungen Mann hereinkommen und ihr freudig zuwinken. Sie kannte ihn von irgendwoher, konnte das Gesicht aber nirgendwo unterbringen. Sein kurz geschnittenes, blondes Haar und das Ziegenbärtchen waren ihr in Erinnerung geblieben. Er trug weiße Jeans und ein zerknittertes blaues Arbeitshemd. Sein Zugeständnis an die Zugehörigkeit zur amerikanischen Unternehmenskultur bestand aus einem Schlips, der jedoch, wie es sich für einen Geschäftsmann aus dem Silicon Valley gehörte, nicht bieder gestreift oder mit Jerry-Garcia-Blumen bedruckt war, sondern mit einem Zeichentrick-Tweety.
»Hallo, Lara.« Er kam näher, schüttelte ihr die Hand und lehnte sich an die Theke. »Kennen Sie mich noch? Ich bin Will Randolph, Sandys Cousin. Sie haben Cheryl und mich in Nantucket kennen gelernt … bei der Hochzeit von Fred und Mary.«
Genau! Daher kannte sie ihn. Er und seine schwangere Frau hatten mit ihr und ihrem Freund Hank am gleichen Tisch gesessen. »Klar doch. Wie geht’s denn so?«
»Danke, gut. Viel zu tun. Aber wem geht das hier nicht so?«
Sein Plastiklätzchen verriet:
Xerox Corporation PARC.
Sie war beeindruckt. Sogar ausgesprochene Nicht-Geeks, Leute, die nicht vom Computer abhängig sind, hatten von diesem legendären Forschungszentrum gehört, das Xerox nur neun oder zehn Kilometer weiter nördlich von Palo Alto eingerichtet hatte.
Will winkte den Barkeeper herbei und bestellte ein Light-Bier. »Wie geht’s Hank?«, erkundigte er sich. »Sandy hat erzählt, er wollte sich bei Wells Fargo bewerben.«
»Ja, das hat geklappt. Er ist gerade zum Vorbereitungskurs unten in L. A.«
Das Bier wurde serviert, und Will trank einen Schluck. »Na denn, herzlichen Glückwunsch.«
Auf dem Parkplatz blitzte es weiß auf.
Aufgeschreckt drehte Lara den Kopf in die Richtung, doch das Fahrzeug stellte sich als weißer Ford Explorer mit einem jungen Pärchen auf den Vordersitzen heraus.
Ihr Blick konzentrierte sich abermals auf die Straße und die Parkplätze hinter dem Ford, und dabei fiel ihr ein, dass sie einen kurzen Blick auf die Seitentür des Van erhascht hatte, als sie zum Parkplatz vor dem Restaurant eingebogen war und der Van sie überholt hatte. Auf dem Lack war eine dunkle, rötliche Schliere gewesen, wahrscheinlich Dreck, aber sie hatte sofort daran denken müssen, dass es wie Blut aussah.
»Alles in Ordnung?«, fragte Will.
»Klar. Entschuldigung.« Sie wandte sich wieder Will zu, froh darüber, einen Verbündeten zu haben. Auch das gehörte zu ihren Verhaltensregeln in der Großstadt: »Zu zweit ist besser als allein.« Im Geiste erweiterte sie die Regel um den Zusatz: Auch wenn einer von beiden ein schmächtiger Geek von kaum einssiebzig ist.
»Sandy hat mich angerufen, ich war gerade auf dem Weg nach Hause. Sie hat mich gebeten, Ihnen etwas auszurichten. Sie hat versucht, Sie zu erreichen, ist aber bei Ihrem Handy nicht durchgekommen. Sie ist spät dran und bittet Sie, sie in diesem Lokal gleich neben ihrem Büro zu treffen. Wie heißt es noch gleich … bei Ciro’s … wo Ihr letzten Monat zusammen gewesen seid. In Mountain View. Sie hat für acht Uhr einen Tisch bestellt.«
»Sie hätten nicht extra vorbeikommen müssen. Sandy hätte auch hier in der Bar anrufen können.«
»Sie wollte, dass ich Ihnen die Bilder gebe, die ich bei der Hochzeit gemacht habe. Ihr zwei könnt sie euch gleich heute Abend gemeinsam anschauen
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