Lavendel und Blütenstaub
los, Mama?"
"Mutter, bist du sicher?"
"Absolut sicher! Noch nie in meinem Leben war ich mir so sicher. Ich will das Ding hier weg haben!"
Jonathan
Leise betrat er das Haus. Er wollte nicht zu laut sein, falls Anna schlief. Stella hatte ihm gesagt, dass es ihr wieder schlechter ging. Es war ein Auf und Ab. Ein Kommen und Gehen. Jonathan wollte das eigentlich gar nicht recht miterleben, doch Stella ließ ihm keine Wahl.
Er schaute gerne Horrorfilme und es störte ihn nicht im geringsten, wenn auf der Leinwand jemand blutrünstig starb. Je mehr Blut und je spektakulärer, desto mehr gefiel ihm der Film. Der Gedanke, dass seine Oma sterben könnte, behagte ihm aber gar nicht. Er hatte Angst davor und würde sich am liebsten drücken. Nur gut, dass er nicht mehr hier schlafen musste.
Jonathan blickte unsicher die Treppe hinauf. Die Schlafzimmertüre schien offen zu stehen. Licht fiel in den Gang.
Dann hörte er es. Lärm, Stimmen und ... Lachen? Ungläubig ging Jonathan durch die Küche in den Garten hinaus, von wo er die Geräusche hörte.
Sprachlos stand er vor der Terrassentür und traute seinen Augen nicht.
Anna saß in einem Gartenstuhl, mit einer leichten Decke zugedeckt, Erwin und Stella rissen die Hecke nieder. Erwin am Ende des Gartens, Stella nur wenige Schritte neben Jonathan neben der Weinlaube. Dabei redeten sie abwechselnd mit Anna und lachten ausgelassen.
"Was ist denn hier los?"
"Ah, Jonathan, gut, dass du da bist!" Stella strich sich mit behandschuhten Händen Haarsträhnen aus dem Gesicht. "Dort drüben liegt eine Astschere. Und Handschuhe sind hier. Du kannst gleich mithelfen!"
Stella machte sich wieder daran, Äste abzuschneiden und Wurzeln auszugraben. Dahinter kam ein morscher Holzzaun zum Vorschein.
"Was habt ihr vor?" Jonathan stand noch immer wie angewurzelt.
"Wir reißen den Zaun nieder", sagte Anna mit ruhiger Stimme vom Gartenstuhl aus. "Ich brauche ihn nicht mehr", fügte sie munter hinzu und lächelte selig.
Zu dritt ging die Arbeit gut voran. Der Haufen mit den Zweigen und Ästen der alten Hecke und den alten, morschen Holzbrettern des Zaunes wurde stetig größer. Nach zwei Stunden war es geschafft. Die Hecke und auch der Zaun waren weg.
Anna hatte im Gartenstuhl ausgeharrt. Hin und wieder war sie eingenickt. Wenn sie wach wurde, beobachtete sie das Geschehen lächelnd und mit Argusaugen.
"Da steht noch was!", hatte sie immer wieder dazwischengerufen. Jonathan kam sich schon vor wie ein Lakai.
Nun stand Anna vor der alten Grenze von Grundstück und Bach. Sie blickte auf das bläuliche, glasklare Wasser, das munter, leicht plätschernd vorbeifloss. Es bahnte sich seinen Weg vorbei an Steinen und kleinen Ästen. Zufrieden sah sie darauf.
Erwin, Stella und Jonathan standen verdreckt und erschöpft auf der Terrasse. Jeder hielt ein Glas Wasser in der Hand, die bis zu den Schultern vor Anstrengung schmerzte..
Anna drehte sich um. "Danke", flüsterte sie. "Danke, danke, danke", fügte sie etwas lauter hinzu und sah dabei jeden einzelnen in die Augen. Jonathan lief es kalt den Rücken hinunter. Eine eigenartige Stimmung legte sich auf die vier.
Anna blickte noch einmal auf den Bach, dann ging sie ins Haus und legte sich in ihr Bett. Sie wirkte zufrieden.
Dr. Werneck
Die Schicht hatte länger gedauert als geplant. Ein Notfall war noch dazwischen gekommen, aber nun war er auf dem Weg zu Anna.
Die ganze Woche schon hatte er an diese liebenswürdige Frau denken müssen, hatte sich gefragt, wie es ihr wohl ging. Nur zu gerne stattete er ihr einen Besuch ab, auch wenn er wusste, dass es nicht in seinen Aufgabenbereich fiel. Für die häusliche Pflege war ihr Hausarzt zuständig, der immer wieder nach dem Rechten sah und sich gut um sie kümmerte.
Ein wenig erinnerte ihn Anna an seine Mutter. Auch Maria war ihr Leben lang fleißig und rechtschaffen gewesen, hatte immer nur das Beste für ihren Sohn gewollt. Wie Anna hatte auch Maria die Diagnose Krebs zu früh aus dem Leben gerissen. Beiden wäre ein hohes Alter im Kreise der Enkelkinder und Urenkel vergönnt gewesen.
Doch noch lebte Anna, rief sich Dr. Werneck ins Gedächtnis. Er hoffte, dass sie die Zeit gut nützen würde, die langsam aber stetig immer weniger wurde, wenn er dem Glauben schenkte, was er von Erwin gehört hatte.
Es schien bei ihr schnell zu gehen. Es war, als hätte sie aufgegeben. Würde er sich auch aufgeben, wenn er die Diagnose hätte? Leberkrebs im Endstadium mit
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