Lavinia & Tobais 01 - Liebe wider Willen
würde sicher nicht die große Erbschaft verlieren wollen, die Maryanne in die Schatzkisten der Colchesters bringen würde, dachte Lavinia. Aber sie entschied sich, diese offensichtliche Tatsache nicht zu erwähnen. Je höher man in der Gesellschaft stieg, desto höher waren die Einsätze bei einer Eheschließung. Während sie versuchte, genügend Geld zusammenzukratzen, um Emeline eine wirkliche Saison zu bieten, und während sie hoffte, einen jungen Mann anzulocken, der ihre Nichte komfortabel ernähren könnte, hatten Joans Pläne eher die Ausmaße einer Staatsaffäre.
Noch einmal entdeckte sie Neville in der Menge und entschied, dass es gut war, dass er hier war. Das bedeutete, dass er nicht zu Hause war, wo Tobias ihm durch Zufall begegnen konnte.
Sie fragte sich, was Neville wohl damals an sich gehabt haben mochte, was Joans Aufmerksamkeit erweckt hatte.
Als hätte sie ihre Gedanken gelesen, beantwortete Joan ihre Frage. »Ich weiß, dass er das unangenehme Aussehen eines Lebemannes besitzt, der zu viele Jahre damit verbracht hat, bedeutungslosen Freuden nachzujagen, aber ich versichere Ihnen, als ich ihm das erste Mal begegnete, war er ein sehr schneidiger, sehr gut aussehender und äußerst charmanter Mann.«
»Ich verstehe.«
»Wenn ich jetzt zurücksehe, dann hätte ich den Anflug von Gier und Selbstsüchtigkeit unter der Oberfläche sehen müssen. Ich bin stolz darauf, eine intelligente Frau zu sein. Aber wie dem auch sei, ich habe seinen wahren Charakter erst erkannt, als es zu spät war. Selbst jetzt noch kann ich mir kaum vorstellen, dass er all die Frauen umgebracht haben soll.«
»Aber warum?«
Joan zog mit einem kleinen, nachdenklichen Stirnrunzeln die Augenbrauen zusammen. »Er ist nicht die Art Mann, der sich die Hände schmutzig macht.«
»Es ist oft schwierig, in die Herzen anderer Menschen zu sehen, wenn man sehr jung ist und nicht viel Erfahrung hat.« Lavinia zögerte. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Ihnen eine sehr persönliche Frage stelle?« »Was für eine Frage?«
Lavinia räusperte sich. »Ich weiß, dass Sie nicht sehr oft in Gesellschaft gehen, aber offensichtlich gibt es Gelegenheiten, bei denen Sie Neville in der Öffentlichkeit begegnen müssen. Wie verhalten Sie sich in diesen Augenblicken?« Joan lächelte, wie es schien, war sie sehr belustigt. »Sie werden schon sehr bald die Antwort auf diese Frage erfahren. Lord und Lady Neville kommen in unsere Richtung. Soll ich Sie ihnen vorstellen?«
Nichts.
Frustriert schloss Tobias das Buch mit den Haushaltsausgaben und ließ es in die Schublade des Schreibtisches fallen. Er trat einen Schritt zurück und hob die Kerze höher, damit das Licht tief in die Schatten des Arbeitszimmers fallen konnte. Er hatte jede Ecke des Raumes abgesucht, doch hatte er keinerlei Anzeichen für Mord oder Verschwörung gefunden.
Neville hatte Geheimnisse. Sie mussten irgendwo in diesem Hause sein.
Es war sehr eigenartig, wenn man einem Mörder vorgestellt wurde. Lavinia ließ sich von Joan leiten. Ein kühles Lächeln und einige gemurmelte Worte, die sich gelangweilt anhörten. Sie stellte jedoch fest, dass Neville es vermied, Joans vorsichtigem Blick zu begegnen.
Constance, offensichtlich in glücklicher Ahnungslosigkeit der gemeinsamen Vergangenheit, die ihr Mann mit Joan teilte, begann sofort eine fröhliche Unterhaltung.
»Ich beglückwünsche Sie zur Verlobung Ihrer Tochter«, wandte sie sich voller Wärme an Joan. »Es ist eine ausgezeichnete Verbindung.«
»Mein Mann und ich waren sehr erfreut«, antwortete Joan. »Ich bedaure zutiefst, dass Fielding nicht mehr auf ihrer Hochzeit tanzen kann.«
»Das verstehe ich.« Mitleid blitzte in Constances Augen auf. »Aber immerhin hatte er die Befriedigung zu wissen, dass ihre Zukunft gesichert ist.«
Lavinia betrachtete Nevilles abgewandtes Gesicht, während sie Joan und Lady Neville zuhörte. Er sah jemanden an, begriff sie. Es lag ein unangenehmer Ausdruck in seinen Augen. Sehr diskret wandte sie den Kopf, um seinem Blick zu folgen.
Voller Erschrecken zog sich ihr Magen zusammen, als sie feststellte, dass er Emeline betrachtete, die in einiger Entfernung zusammen mit Anthony und einer Gruppe junger Leute stand. Als hätte er die Gefahr gefühlt, warf Anthony ihr einen Blick zu. Seine Augen zogen sich zusammen, als er Neville entdeckte.
»Was für ein hübsches Kleid, Mrs. Lake.« Constance lächelte. »Es sieht aus wie eine der Schöpfungen von Madame Francesca. Ich schwöre, ihre
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