Lavinia & Tobais 01 - Liebe wider Willen
verstärken. Gekleidet in ein türkisfarbenes Kleid, das Madame Francesca für eine solche Gelegenheit angeraten hatte, das dunkle Haar zu einer eleganten Frisur hochgesteckt und geschmückt mit kleinen Ornamenten, sah Emeline genauso exotisch aus wie ihre Umgebung.
»Meinen Glückwunsch, Lavinia«, murmelte Joan. »Der junge Mann, der Emeline gerade auf die Tanzfläche führt, wird einmal einen Titel erben.«
»Landgüter?«
»Einige, denke ich.«
Lavinia lächelte. »Er scheint sehr charmant zu sein.«
»Ja.« Joan beobachtete die Tänzer. »Glücklicherweise kommt der junge Reginald nicht auf seinen Vater. Aber das ist unter diesen Umständen ja auch nicht überraschend.«
»Was soll das heißen?«
Joans Lächeln war kalt. »Reginald ist der dritte Sohn Böllings. Den ersten hat man tot in einer Gasse hinter einem Bordell gefunden. Man nimmt an, dass er von einem Straßenräuber ermordet wurde, den man nie gefunden hat.«
»Ich nehme an, Sie glauben dieses Märchen nicht?«
Joan hob eine Schulter in einer anmutigen Bewegung. »Es war kein Geheimnis, dass er eine Vorliebe für ganz junge Mädchen hatte. Es gibt Leute, die glauben, dass er von einem Verwandten eines seiner jungen unschuldigen Opfer erstochen worden ist, das er gerade entehrt hatte. Vielleicht von einem älteren Bruder.«
»Wenn das der Fall ist, so kann ich mit Böllings erstem Erben kein Mitleid haben. Was geschah mit dem zweiten Sohn?«
»Er hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, sehr viel zu trinken und dann in die Bordelle zu gehen, um sich dort Unterhaltung zu suchen. Eines Nachts wurde er mit dem Gesicht nach unten in der Gasse vor einer verrufenen Spielhölle gefunden. Man sagt, er sei in nur wenigen Zentimetern Wasser ertrunken.«
Lavinia erschauerte. »Keine glückliche Familie.«
»Niemand hätte es sich je träumen lassen, dass der junge Reggie einmal den Titel erben würde, ganz sicher nicht Lady Bölling. Als sie ihre Pflicht erfüllt hatte und ihrem Ehemann einen Erben und noch einen Nachfolger geboren hatte, ging sie nach der Geburt ihres zweiten Sohnes ihre eigenen Wege.«
Lavinia warf ihr einen Blick zu. »Sie nahm sich einen Geliebten?«
»Jawohl.«
»Wollen Sie etwa behaupten, dass dieser Geliebte der Vater von Reginald ist?«
»Ich denke, das ist sehr wahrscheinlich. Er hat das braune Haar und die dunklen Augen seiner Mutter, deshalb ist es unmöglich, sicher zu sagen, wer sein Vater ist. Aber ich erinnere mich, dass die ersten beiden Söhne Böllings beide helles Haar und helle Augen hatten.«
»Also wird der Titel wahrscheinlich an den Nachkommen eines anderen Mannes gehen.«
So etwas passierte viel öfter, als irgendjemand wusste, überlegte Lavinia.
»Ehrlich gesagt ist das meiner Meinung nach in diesem Fall für alle das Beste«, meinte Joan. »Es liegt etwas im Blut der Männer der Linie Böllings, das nicht ganz in Ordnung ist. Von ihnen wird behauptet, dass sie immer wieder durch ihre eigene Schwäche ein schlimmes Ende nehmen. Bölling selbst ist hoffnungslos dem Mohn verfallen. Es ist ein Wunder, dass er noch nicht an einer Überdosis umgekommen ist.«
Lavinia warf ihr einen schnellen, prüfenden Blick zu. Dies war nicht die erste Klatschgeschichte, die sie heute Abend von ihrer Begleiterin gehört hatte. Vielleicht war es Langeweile, die Joan dazu gebracht hatte, ihr so viele Gerüchte und Geheimnisse über die anderen Gäste zu erzählen. Lavinia hatte in der letzten Stunde mehr über die Eigenheiten und Skandale der gehobenen Gesellschaft erfahren als in den vergangenen drei Monaten.
»Für eine Dame, die nicht sehr oft auf Gesellschaften geht«, meinte Lavinia vorsichtig, »scheinen Sie aber außergewöhnlich gut über die Leute, die sich in den höchsten Kreisen bewegen, informiert zu sein.«
Joan umklammerte ihren Fächer ein wenig fester. Sie zögerte nur einen kurzen Augenblick, ehe sie den Kopf ein wenig senkte. »Mein Mann hat es sich zur Gewohnheit gemacht, Informationen und Gerüchte herauszufinden, von denen er glaubte, dass sie für seine finanziellen Transaktionen einmal wichtig sein könnten. Zum Beispiel hat er sich sehr gründlich mit dem Hintergrund von Colchesters Erben befasst, ehe er die Bitte um Maryannes Hand angenommen hat.«
»Natürlich«, stimmte Lavinia ihr zu. »Das Gleiche würde ich auch tun, wenn ein junger Mann starkes Interesse an meiner Nichte zeigen würde.«
»Lavinia -« »Ja?«
»Glauben Sie wirklich, dass es möglich ist, dass mein Mann die Wahrheit
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