LaVyrle Spencer
warf die Bettdecke zurück, griff
nach ihrer Hand und zog sie auf die Couch. »Setz dich.«
Sie gehorchte, stand aber schnell
wieder auf. »Der Arzt hat gesagt, daß ich mich bewegen soll.«
»Der Arzt?
Hast du ihn etwa schon angerufen?«
»Ja, vor
ein paar Stunden.«
»Warum hast
du mich nicht geweckt?«
»Ich ...« Sie wußte es nicht. »Clay,
ich glaube, du solltest mich ins Krankenhaus bringen, aber du brauchst nicht
bei mir zu bleiben. Ich würde selbst fahren, doch der Arzt hat mir davon
abgeraten.«
Ihre Worte verletzten ihn zutiefst.
Dann wurde er ärgerlich. »Du kannst mich nicht ausschließen, Catherine. Ich bin
der Vater des Kindes.«
Sie antwortete nur: »Wir sollten
keine Zeit mit Streitereien vergeuden. Tu, was du willst, wenn wir im
Krankenhaus angekommen sind.«
In der Entbindungsstation wurden sie
von einer jungen Krankenschwester empfangen, auf deren Namensschild Christine
Flemming stand. Sie nahm selbstverständlich an, daß Clay bei seiner Frau
bleiben wollte, und führte die beiden in ein Zimmer, in dem ein Bett stand. Als
Catherine vom Bluttest zurückkam, setzten wieder die Wehen ein, und Miss
Flemming gab ihrer Patientin Anweisung, ruhig zu atmen und sich zu entspannen.
Als die Wehe vorbei war, sagte sie zu Clay: »Ihre Aufgabe ist es jetzt,
Ihrer Frau zu helfen, richtig zu atmen und sich zu entspannen.« Also sparte
sich Clay jede Erklärung und befolgte den Rat der Krankenschwester. Er setzte
sich an Catherines Bett und hielt ihre Hand.
Bald darauf kam Miss Flemming zurück
und sagte zu Catherine: »Jetzt wollen wir mal sehen, wie weit Sie sind.
Entspannen Sie sich, und sagen Sie mir, ob eine Wehe kommt, während ich Sie
untersuche.« Es geschah so schnell, daß Clay keine Zeit blieb, sich abzuwenden
oder hinauszugehen. Anscheinend wurde von ihm erwartet, dabeizubleiben und Catherines
Hand zu halten, während die Krankenschwester ihren Leib abtastete. Er staunte,
auf welch natürliche Weise er in den Geburtsvorgang mit einbezogen wurde. Als
die Untersuchung vorbei war, zog die Krankenschwester Catherine das Hemd wieder
über den Bauch und streichelte sanft darüber.
»Hier kommt die nächste Wehe,
Catherine. Entspann dich und zähle – eins, zwei, drei ...« Catherines Finger
umklammerten Clays Hand mit schmerzhaftem Griff. Ihre Stirn war mit Schweiß
bedeckt. Sie schloß die Augen und preßte die Lippen aufeinander.
Er sagte sanft zu ihr: »Öffne den
Mund, Catherine. Atme tief durch.«
Und trotz der Schmerzen war
Catherine glücklich, daß Clay bei ihr war. Seine Stimme besänftigte und tröstete
sie in diesen Augenblicken der Angst.
Nachdem der Schmerz verebbt war,
öffnete Catherine die Augen und fragte Miss Flemming: »Wieso wußten Sie, daß
die nächste Wehe kommt?«
»Das kann man fühlen. Geben Sie mir
Ihre Hand, Catherine.« Sie legte Catherines Hand auf den Bauch. »Mr. Forrester«,
sagte sie, »legen Sie Ihre Hand auf die andere Seite. Warten Sie – Sie können
es fühlen, wenn die nächste Wehe kommt. Die Muskeln verkrampfen sich,
der Bauch verändert seine Form ... Jetzt, fühlen Sie es? Es wird ungefähr
eineinhalb Minuten dauern, bis der Höhepunkt überschritten ist. Dann
entspannen sich die Muskeln wieder.«
Catherines und Clays Fingerspitzen
berührten sich über ihrem gewölbten Leib. Gemeinsam spürten sie die Bewegungen
in Catherines Körper. Für Clay wurden dadurch ihre Schmerzen greifbar. Mit
großen Augen starrte er auf das Wunder, das unter seiner Hand geschah. Als sich
die Wehe dem Höhepunkt näherte, verkrallte Catherine ihre Hände im Kopfkissen,
und Clay sah ihr schmerzverzerrtes Gesicht. Er beugte sich vor, strich ihr das
Haar aus der schweißbedeckten Stirn. Als sie seine Hand spürte, entspannte sie
sich und begann ruhiger zu atmen. Besänftigend sprach er auf sie ein und
empfand ein merkwürdig befriedigendes Gefühl, da er die Macht hatte, ihre
Schmerzen zu lindern.
In diesen Augenblicken innigsten
Beisammenseins begann Clay Dinge zu verstehen, die so tief und immerwährend
waren wie das Leben, das in Catherines Leib heranwuchs. Er begriff, daß die
Schmerzen der Geburt Mann und Frau eine Nähe vermittelten wie kein anderes
gemeinsames Erlebnis. Als Catherine in den Kreißsaal gebracht wurde, fühlte
sich Clay entsetzlich einsam, so als hätte ein Fremder seinen Platz
eingenommen. Aber als er gefragt wurde, ob er an dem Vorbereitungskurs für werdende
Väter – Voraussetzung dafür, bei der Geburt dabeisein zu dürfen –
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