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Lazyboy

Lazyboy

Titel: Lazyboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Weins
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die Bewusstlosigkeit. Der Pilot sei in Unterhose immer wieder zur Passagierkabine hinuntergetaucht, doch es sei ihm nicht gelungen, die beiden zu befreien, das Wasser des Flusses sei durch den aufgewühlten Elbschlick zu trübe gewesen.
    Ich steige aus dem Bus, ich nehme den Plattenweg zum riesigen Hauptgebäude des Klinikums hinüber. Ich schaue meinen Schuhen beim Gehen zu. Es ist gut, wenn jemand die Kontrolle, die Verantwortung, das Kommando übernimmt, wenn jemand die Entscheidungen trifft, treue Schuhe.
    Ich steige in den Fahrstuhl, mein Finger drückt den richtigen Knopf, ich fahre in das richtige Stockwerk hinauf.
    Ich mache mich darauf gefasst, ein leeres Zimmer, ein leeres Bett vorzufinden, was bedeutet, dass Monika nach Hause gegangen ist, weil es ihr gereicht hat, endlos lange umsonst auf mich zu warten. Zu Hause in ihrer Wohnung sitzt sie mit dicken Socken an den Füßen auf dem Sofa vor dem Fernseher, einen Becher Schokolade in der Hand, und sieht sich eine Telenovela an, sie ist sauer auf mich, sie wird mich eine ganze Weile für meine unverfrorene Abwesenheit bestrafen, aber am Ende wird sie mir doch verzeihen, wie immer.
    Mit einem leeren, weiten, hallenden Kopf wandle ich den langen, neonlichten Flur entlang. Ich komme an. Ich stehe vor der Tür. Die Tür sagt: Ich bin es, die alte Tür, deine Freundin und Feindin zugleich. Klopf an und tritt ein, denn ich bin dein Schicksal, hinter meinem Blatt liegt die Enthüllung deiner größten Angst und deines größten Wunsches verborgen, auf die eine oder andere Weise identisch. Ich bin die Herausforderung, mit der du immer gerechnet hast und der du dich in jedem Augenblick gegenübersiehst.
    Ich sage: »Halt’s Maul und mach Platz, tu deinen Job, füll die Funktion aus, für die du gemacht bist, aus dem Weg, dumme Tür.«
    Mein Knöchel klopft, die Tür öffnet sich wie im Märchen. Hinter der Tür steht die dunkle Zauberin und funkelt mich an. »Heiner«, sagt sie, »wie schön, dich auch einmal wieder zu Gesicht zu bekommen, wir haben ja gar nicht mehr zu hoffen gewagt, was führt dich denn hierher?«
    »Darf ich sie sehen?«, sage ich und gehe auf das Bett zu.
    Im Bett liegt die Prinzessin. Eine wunderschöne Frau mit blassem Gesicht und dunklen Schlangenhaaren, die mit ihren schmalen Gesichtszügen spielen. Die Lider sind geschlossen, sie schläft. Die Prinzessin schläft.
    Durch das Rankenwerk tausendjähriger Rosen habe ich mich bis zu ihr in dieses Schloss geschlagen, ich bin bereit, den entscheidenden Kuss zu setzen, weil sie schläft. Ich beuge mich zu ihr hinab. Die Prinzessin sieht blass aus, ihre Brust hebt und senkt sich. Immer noch tropft blasses Gift aus einem Beutel in sie hinein.
    »Wie geht es ihr?«, frage ich.
    »Unverändert«, sagt meine Schweigermutter.
    Ich richte mich auf und sehe sie an.
    »Nein«, sage ich.
    »Heiner, es ist viel Zeit vergangen. Wir gehen mittlerweile davon aus, dass sie nicht wieder aufwachen wird. Wir müssen eine Entscheidung treffen. Denn wenn sie wider Erwarten doch einmal aufwachen sollte, sagen die Ärzte, dann wird sie nicht mehr die Person sein, die wir gekannt haben. Sie ist schon zu lange ohne Bewusstsein.«
    »Das kann nicht sein«, sage ich, denn ich habe für sie die Einöde überwunden.
    Meine Schwiegermutter antwortet nicht, sie steht am Fußende des Bettes mit verschränkten Armen, die sie schließlich sinken lässt, einsame, hilflose Schultern, die zucken, grüner Dämmer sickert durch die Vorhänge in dieses Zimmer hinein, wie ein müde machendes, die Sinne betäubendes Faulgas, man darf sich nicht fügen, das Bewusstsein darf niemals klein beigeben.
    »Aber«, sage ich, »nein, ich habe ...«
    Meine Schwiegermutter bewegt sich auf mich zu mit großen, schwarzen, nässenden Augen, und dann steht diese fremde Frau in einer Strickjacke vor mir und streckt die Arme nach mir aus, sie nimmt mich in den Arm, was sie noch nie getan hat, oder sie will selbst in den Arm genommen werden, gleichzeitig stark und hilflos und verletzlich, wir stehen miteinander eng umschlungen da, zwei Menschen, und halten uns gegenseitig aneinander fest, denn wenn wir losließen, würden wir ins grenzenlos Bodenlose stürzen, wo es kein Aufwachen gibt, wir beide wissen das, und deshalb krallen wir uns so fest ineinander, dass es wehtut.
    Es hat alles nichts genützt. Ich habe irgendwo einen Fehler begangen.
    »Wo ist Heinz?«, frage ich später. Und noch später sage ich: »Ich konnte wirklich nicht hier sein, ich hätte

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