Lazyboy
es mir so gewünscht, ich wollte die ganze Zeit nichts, als hier zu sein und hier zu sitzen und zu helfen und zu wachen, du weißt gar nicht, wie sehr, du musst es mir glauben, und es tut mir so leid.«
Und als sich alles öffnet und fließt, was fließen kann, nickt meine Schwiegermutter mit geschlossenen Augen, ich sehe ihren Kehlkopf hüpfen. Sie drückt meine Hand.
Ich sitze im Schnee des Bettes und sehe zu Monika hinüber, die in einer fernen Wehe daliegt und mit ihrem Mund Schneebälle formt. Lange sitze ich da.
2
Mein Finger bleibt auf dem Klingelknopf liegen, was mir erst auffällt, als nicht nur der Summer geht, sondern auch das Türblatt von Hand geöffnet wird. Frau Merbold steckt ihren Kopf ins Treppenhaus hinaus und sagt mit ihrer tiefen Stimme: »Sachte, sachte.« Sie hätte keine angemesseneren Worte wählen können.
Ich sage nichts, ich blicke aus Hundeaugen.
»Wen haben wir denn da?«, sagt sie. »Den Lazyboy. Habe ich etwas vergessen? Habe ich einen Termin übersehen?«
»Bitte«, sage ich, und ich spüre, dass ich den ganzen abgrundtiefen Ernst dieses Wortes verkörpere.
Frau Merbold führt mich an der Hand ins Innere der Praxis, sie führt mich direkt in ihr Behandlungszimmer, ich sitze auf meinem Stühlchen vor ihrem imposanten Schreibtisch wie ein sechsjähriger spanischer Infant vor der Aussicht der späteren Herrschaft über das gewaltige katholische Spanien mitsamt der Kolonien in Übersee, und ich höre, wie sie sich ins Wartezimmer wendet und eine Patientin zu beschwichtigen versucht. »Frau Wuttke«, sagt sie, »es tut mir sehr leid, aber es handelt sich tatsächlich um einen nicht vorherzusehenden Notfall.«
»Ich bin auch ein Notfall«, sagt Frau Wuttke in trotzigem Kleinmädchentonfall.
»Nein, das sind Sie nicht«, sagt Frau Merbold mit rauchig begütigender Stimme. »Auch wenn Ihre Geschichte faszinierend ist und großer Aufmerksamkeit bedarf. Aber in diesem Fall geht es buchstäblich um Leben und Tod.«
Dann schließt sie die Tür zur Praxis und klettert hinter ihren riesigen Tisch. Frau Merbold trägt ein Minikleid mit orangefarbenen und schwarzen Ornamenten auf silbernem Grund, darunter eine blaue Strumpfhose und schwarze Stiefelchen.
»Schießen Sie los«, sagt sie.
»Es tut mir leid, wenn ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereite«, sage ich.
»Och«, sagt sie. Und nach einer Weile, in der sie in mein Gesicht geschaut hat: »Wie geht es Ihrer Verlobten?«
Das sind die Signalworte, die in meinem Gesicht erneut alles zum Fließen bringen.
Als ich endlich Worte finde, erzähle ich, was ich über Monikas Zustand weiß. Ich sitze da und weine, und hin und wieder äuge ich unter meinem Taschentuch hindurch zu Frau Merbolds blauen Beinen hinüber, die ich unter ihrem Schreibtisch sich kreuzen sehe, es ist verrückt. Wie kann ich jetzt daran denken?
Frau Merbold blickt mitfühlend. Mit leiser Stimme sagt sie: »Es gibt Dinge, die man nicht ändern kann, auf die man keinen Einfluss hat. Diese Dinge muss man annehmen. Ein Verlust, wie Sie ihn erleiden, gehört leider dazu. Es gibt Dinge, die in unserer Macht stehen, und es gibt Dinge, die nicht in unserer Macht stehen. Auf Erstere sollte man sich konzentrieren, wenn man unbedingt etwas verändern will, alles andere macht unglücklich. Sie können nicht verändern, was nicht in Ihrer Macht steht.«
Ich schniefe.
»Sie trauern«, sagt Frau Merbold. »Sie versuchen sich damit abzufinden, dass die Frau, die Sie lieben, vielleicht niemals wieder zu Bewusstsein kommen wird, dass Sie sie verloren haben, dass Sie hilflos sind, dass Sie nichts tun können, damit es ihr bessergeht oder sie zurückkommt. Und Sie müssen nun die Schuldgefühle aushalten, nicht genug da gewesen zu sein in Ihrem Beziehungsleben. Das wird eine harte Aufgabe für Sie werden. Und ich biete Ihnen an, gemeinsam mit Ihnen zu schauen, welche von diesen Schuldgefühlen angebracht sind, wo Sie sich wirklich Vorwürfe zu machen haben oder wo Sie sich aber auch einfach sinnlos foltern. Ja?«
Ich schlucke und nicke.
»Ansonsten kann ich Ihnen heute wenig helfen. Sie trauern, und das ist die angemessene Reaktion. Wir können hier einfach gerne ein wenig beieinandersitzen und Sie können sich gerne in meiner Anwesenheit Ihrem Schmerz öffnen. Manchmal ist das in der Anwesenheit anderer Menschen leichter. Möchten Sie, dass ich zu Ihnen herüberkomme? Möchten Sie in den Arm genommen werden?«
»Um Gottes willen, nein«, sage ich erschrocken, weil ich befürchte,
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